Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 46 / III / 2008

ZUM GESCHNEIDERTEN GEWAND IM 7. JH.

In der einschlägigen Literatur wird der Reichtum an Kleiderformen, die sich seit der geometrischen Zeit im griechischen Kulturraum entwickelten, meist nur unter zwei Grundtypen subsumiert: Chiton und Peplos sowie als Übergewand das Himation [1]. Die beiden Grundformen sind gewiß das geschneiderte (endyma) und das drapierte (epiblema) Gewand, doch gab es daneben noch eine Vielzahl an anderen Formen, wie sie uns in antiken Kleiderbezeichnungen einerseits sowie in antiken Bildwerken andererseits überliefert sind; entsprechende Zuweisungen gelingen leider nur selten [2]. Aber auch bei der Verwendung der Termini "Chiton" und "Peplos" herrscht Unsicherheit; beide werden nicht selten in der Literatur bei der Beschreibung ein und desselben Kunstwerks vertauscht. Die uneinheitlichen Definitionen richten sich entweder nach dem Material oder nach dem Schnitt bzw. der Befestigungsweise; spätestens bei Mischformen herrscht Verwirrung vor [3].
Nach dem Ende der Bronzezeit läßt das Bildmaterial wieder ab dem 8. Jh., vermehrt im 7.Jh. v.Chr., Aussagen zur griechischen Bekleidung zu. Besonders aussagekräftig hierfür sind neben dem Dekor lokaler Keramik (v.a. attischer und korinthischer) die Funde aus Olympia und Delphi, die "dädalischen" Artefakte aus Kreta, für die kykladische Kunst die melischen Amphoren und die tenisch-böotischen Reliefamphoren (Abb.: Reliefamphora von Mykonos), für Sparta die Funde aus dem Heiligtum der Artemis Orthia und für den griechischen Osten die Funde aus den Heiligtümern der samischen Hera und der ephesischen Artemis.
Das Bildmaterial zeigt uns eine Palette an Varianten, wie diese Gewänder gestaltet sein konnten, wobei mit einiger Vorsicht auch lokale Vorlieben zu konstatieren sind. Sowohl die Weiterführung spätmykenischer Traditionen wie auch der direkte Einfluß anatolischer und orientalischer Formen diverser Provenienz in frühgriechischer Zeit haben einen ungemeinen Variantenreichtum in Schnitt und Dekor der griechischen Kleidung zur Folge. Das Hauptgewand der Frauen war ein langes, eng anliegendes und eng gegürtetes Gewand mit oder ohne Ärmel, das aus mehreren Teilen zusammengenäht wurde und daher geschneidert war [4].

Die enge Form, der ausgestellte Saum, der hinten manchmal als Schleppe [5] gestaltet ist, plissierte Röcke, unterschiedliche Ober- und Unterteile, abgesetzte Mittelstreifen mit tw. verschiedenen Mustern auf beiden Rockhälften, Borten an allen Säumen sowie das für das 7.Jh. typische "Schultermäntelchen" (epiblema) [6] verlangen nach Detailanalysen zu Schnitt und Struktur, auch um zu klären, wie man sich solche Gewänder in realiter vorzustellen hat (Der hier abgebildete Modellversuch ist ein erster Schritt dazu). Durch stoffliche Nachbildungen im Rahmen "experimenteller Archäologie" sind durchaus neue Erkenntnisse zu erwarten, wobei besonders Realfunde (Textilfragmente, Metallverzierungen usw.) zu berücksichtigen sind.
Interkulturelle Transaktionen, das Kräftespiel zwischen Tradition und Innovation, chronologische und lokale Entwicklungen, die Stellung des Menschen zu seinem Umfeld und vieles mehr können am Wandel der Kleidung aufgezeigt werden. Diachronische und diatopische Betrachtungsweisen helfen, parallele Entwicklungen zu erkennen. Wie wichtig es ist, die ehemals lebendige Vielfalt antiker Kleidung zu betonen, zeigt die - nicht nur bei Laien - vorherrschende, eintönige Vorstellung, bei der weiße Gewänder mit perfektem Faltenwurf als die typisch altgriechische Tracht angesehen werden. Das ideale Fernziel einer möglichst umfangreichen Datenbank von aussagekräftigem Bildmaterial im griechischen Kulturraum [7] könnte bei entsprechender archäologischer Auswertung wertvolle Erkenntnisse über einen wesentlichen Bereich antiker Kultur bringen: Der Bekleidung.

[1] M. Bieber, Griechische Kleidung (1928) I 2; S. Marinatos Kleidung, Haar- und Barttracht , in: Archaeologia Homerica 1, Kap. A/B (1967) A6; A. Pekridou-Gorecki, Mode im antiken Griechenland. Textile Fertigung und Kleidung (1989) 71.
[2] Pekridou-Gorecki a.O. 99.
[3] A. Filges, Schlauchkleid - Peronatris - Stola: Die Genese einer Frauentracht, AA 2002/1, 259.
[4] Marinatos a.O. A41 bezeichnet es als Heanos, während Peplos für ihn ursprünglich nur ein zusätzliches Schleiertuch meint.
[5] Oxylekton oder Schleppkleid (Marinatos a.O. A44).
[6] Dazu die konträren Interpretationen von K. Davaras, Die Statue aus Astritsi, AK Suppl.8, 1972, 59-64 und E. B. Harrison, Notes on Daedalic Dress, JWalt 36, 1977, 37-48.
[7] Im Rahmen eines längerfristig angelegten Projektes sollte dabei das Material möglichst ohne zeitliches Limit von der Bronzezeit bis zur Gegenwart (Mitte 20. Jh.) untersucht werden.

© Isabella Benda-Weber
e-mail: isabella.benda-weber@oeai.at


This article should be cited like this: I. Benda-Weber, Zum geschneiderte Gewand im 7. Jh., Forum Archaeologiae 46/III/2008 (http://farch.net).



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