Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 42 / III / 2007

FANS UND HOOLIGANS IN DER ANTIKE

Oft scheinen Zuschauer nur am Rande der Sportereignisse zu stehen, sie sind aber weit mehr als bloße Statisten. Sie sind der Nährboden des Agons [1], stehen mit den Akteuren in ständiger Korrelation [2] und spornen sich gegenseitig an. Gerade deshalb dürfen sie in einer umfassenden Abhandlung über den Sport nicht fehlen, zumal wir uns fragen müssen, ob es bereits in der griechischen und römischen Antike dem heutigen Fanwesen und Hooliganismus Vergleichbares gab, und - wenn ja - wie und in welchem Ausmaß sich dies geäußert hat. Auch allgemeine Aspekte im Zusammenhang mit den Zuschauern, etwa die Versorgung am Austragungsort der Wettkämpfe oder die Sicherheit der Wettkampfstätten selbst, werden daher in diesem Beitrag zur Sprache kommen. Um eventuelle Unterschiede zur modernen Zeit und auffallende Parallelen zwischen damals und heute deutlich hervorzuheben, um Zeitspezifisches von Allgemein-Menschlichem besser abheben zu können [3], werden im letzten Abschnitt auch die Grundzüge modernen Zuschauerwesens nachgezeichnet.

Fans in der griechischen Antike

Im antiken Griechenland waren Sport und Kult eng miteinander verbunden; spätestens seit dem 6.Jh. v.Chr. gehörten Agone sportlicher und musischer Natur fast selbstverständlich zur Feier der Götter. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Verbindung keine ursprüngliche war, sondern erst im Laufe der Zeit Wettkämpfe in die Kultfeste integriert wurden [4]. Neben der Ehrung der Götter schuf man mit den Spielen gleichzeitig auch ein politisch wie sozial eingliederndes Moment für alle Besucher des Kultfestes. Zugelassen zu den Spielen waren allerdings nur von Blutschuld freie griechische Vollbürger, verheirateten Frauen war (jedenfalls in Olympia) mit Ausnahme der Priesterin der Demeter Chamyne das Zusehen verboten.
Die meisten Zuschauer kamen aus der näheren Umgebung der Wettkampfstätte, viele nahmen aber auch einen weiten Weg auf sich, um die Spiele miterleben zu können. Besondere Gegenstände, spezielle Kleidung und ein Kranz wiesen den in kultischen Absichten Reisenden aus und sollten ihm ein sicheres Fortkommen garantieren. Fasst man neben den Gefahren des Reisens auch noch die zahlreichen Unannehmlichkeiten, die den Zuschauer erwarteten, wie Gedränge, Geschrei und Hitze [5] ins Auge, versprachen die Spiele nicht unbedingt ein reines Vergnügen zu werden. So drohte ein Müller aus Chios - offenbar im Bewusstsein dieser Anstrengungen - seinem unfolgsamen Sklaven, dass er ihn nicht in die Kornmühle schicken, sondern nach Olympia bringen würde [6].
Manch einer hielt den physischen Belastungen nicht stand und verstarb im Stadion. Das prominenteste Opfer ist wohl der Naturphilosoph Thales von Milet, der an Hitze, Durst, vor allem aber daran, dass die Menschenmenge zu groß war [7], zugrunde ging. In Olympia tauchten als weitere unangenehme Nebenerscheinung auch Myriaden von Insekten auf, angezogen von Hitze, Menschenmassen, fehlender Hygiene, im Besonderen aber vom Fleisch und Blut der Opfertiere. Man versuchte dieser Plage entgegenzuwirken, indem man dem Zeus Apomyios, dem ,Fliegenabwehrer', opferte. Trotz aller Strapazen erfreuten sich die Spiele aber eines großen Zulaufs; Olympia soll regelmäßig 50.000 Zuschauer beherbergt haben [8], eine für antike Maßstäbe beachtliche Menschenmenge (Abb. 1).
Einen besonderen Schutz erfuhren die Anreisenden durch die Institution der ekecheiria, des anlässlich der Agone ausgerufenen heiligen Festfriedens [9]. Dieser umfasste die Austragungsstätte und die An- und Abreisen aller Teilnehmer, er implizierte aber keineswegs eine allgemeine Waffenruhe in Griechenland, wenngleich es den Zuschauern strengstens verboten war, einen Bürger aus einem feindlichen Staat umzubringen. Und obwohl auch die griechischen Zuschauermassen - entgegen manch moderner Meinung - ebenso parteiisch, ebenso explosiv und erregbar wie zu jeder anderen Zeit [10] waren, sind uns tatsächlich keine Berichte von blutigen Ausschreitungen überliefert.
Dies darf jedoch nicht zu einer idealisierenden Sicht des damaligen Zuschauerverhaltens führen; schon die reine Präsenz von ,Mastigophoroi' (Peitschenträgern) und ,Rhabduchoi' (Schlagstockträgern) als Helfer der Hellanodiken [11] zeugt vom ungebührlichen Benehmen der Zuseher und der Notwendigkeit einer Kontrolle von außen.
Die Stadien selbst waren in Griechenland zunächst nicht mit festen Tribünen ausgestattet. Im Laufe der Zeit ging man jedoch dazu über, an den Längsseiten und später ebenso im Kurvenbereich steinerne Sitzreihen zu errichten (Abb. 2).
Auf diesen Sitzen verfolgten die Zuschauer gespannt das Geschehen, feierten ihren Favoriten oder beklagten dessen Scheitern. Ein sehr aufschlussreiches Zeugnis über das Mitfiebern des Publikums ist das Vasenbild auf dem sog. Sophilos-Fragment [12], das uns eine emotionsgeladene Szene bei den Leichenspielen des Patroklos vor Augen führt: Die Besucher auf der Tribüne sind teilweise von ihren Sitzen aufgesprungen, Minen und Gesten lassen auf ihre Begeisterung für das Wagenrennen schließen (Abb. 3). Dementsprechend bezeichnet auch der griechische Schriftsteller Philostrat (2./3.Jh. n.Chr.) einen Wettkampf dann als vollkommen gelungen, wenn die Zuschauer von den Plätzen hochfahren, die Arme vorstrecken oder das Gewand in die Höhe werfen und aus Freude mit ihren Nachbarn zu ringen beginnen [13]. Solche spontane Gefühlsäußerungen waren durchaus auch Anlass für spöttische und ironische Bemerkungen. Plutarch (1./2.Jh. n.Chr.) überliefert in seinen ,Moralia', einem Werk, dessen Ziel u.a. die Erziehung des Lesers zur Tugend war, dass Aischylos bei den Isthmischen Spielen einem Boxkampf zusah: … als der eine [Boxer] den anderen traf, schrie die Menge im Theater (theatron) auf; Aischylos stieß den Ion aus Chios an und sagte: ›Da siehst du, was das Training ausmacht: der Getroffene schweigt, die Zuschauer schreien.[14]


Allgemein können laut Ingomar Weiler, der das Zuschauerverhalten an einer Polybiosstelle untersuchte [15], sieben Verhaltensmuster für die antiken (also auch römischen) Besucher festgehalten werden: Sie gehen von der Sympathie mit dem Schwächeren über lautes Zurufen, Ermunterung und Begeisterung bis hin zu Gier nach Brutalität und Sensationslust [16]. Die Verehrung oder Gunst des Publikums wurde vor allem einzelnen Sportlern zuteil, einige der siegreichen Athleten wurden sogar als Götter betrachtet und verehrt. Wer wessen Fan war, hing dabei oft von der Herkunft des Sportlers ab - ,nationalistische' Gründe zählten demnach auch in der alten Welt manchmal mehr als die sportliche Leistung, wobei hier die Rivalität natürlich nicht zwischen Zuschauern verschiedener Staaten, sondern verschiedener Städte entbrannte. Für die Bewohner von Kroton war also durchaus ein Grund gegeben, die Statuen des Olympioniken Astylos, eines Sohnes ihrer Stadt, zu zerstören und sein Haus in ein Gefängnis umzuwandeln, als dieser die Absicht kundtat, in Zukunft für eine andere Polis anzutreten [17].
Im Stadion von Nemea saßen die Zuschauer, wie eine Analyse der dort gemachten Münzfunde zeigt, nach ihrer politisch-ethnischen Zusammengehörigkeit in Sektoren beieinander. Unklar ist jedoch, ob sich die Gruppen ohne Anweisung von außen an bestimmten Stellen platzierten oder ob die Sitzordnung von offizieller Seite vorgegeben war (Abb. 4).
Geht man der Frage nach, warum diese Münzen überhaupt im Stadion (also während der Austragung der Wettkämpfe) aus dem Geldbeutel genommen wurden und folglich verloren gehen konnten, bieten sich zwei Antwortmöglichkeiten an: Entweder wollten sich die Zuschauer einen Imbiss kaufen oder sie verwendeten die Münzen für Spiele [18]. Abwechslung fand der Zuschauer im und rund um das Stadion reichlich. Neben Händlern, die mit ihren Produkten beinahe alle Bedürfnisse der Besucher zu befriedigen vermochten (sie boten Lebensmittel, Holz, Getränke, Heiligtumsbedarf - wie z.B. Votive - und Andenken, die üblichen Souvenirs und vieles mehr [19] an), tummelten sich bei den Sportstätten Gaukler, Prostituierte, Schausteller und Wahrsager - kurz: Geschäftemacher aller Arten. Gleichzeitig fungierten die Austragungsorte auch als Forum für Redner, Philosophen und Literaten. So fand beispielsweise das Werk Herodots eine schnelle und großräumige Verbreitung, da er es bei den Olympischen Spielen verlesen hatte [20].
Ein Bild jenes bunten Treibens bei den Wettkampfstätten liefert uns der weit gereiste Redner, Autor und Philosoph Dion Chrysostomos (1./2.Jh. n.Chr.) am Beispiel der Isthmischen Spiele: Zu jener Zeit war es auch, dass man rings um den Poseidontempel beobachten konnte, wie viele erbärmliche Sophisten schrieen […], viele Prosaisten ihre stumpfsinnigen Schreibereien vorlasen, viele Dichter ihre Werke rezitierten und beim Publikum Beifall ernteten, viele Gaukler ihre Kunststücke zeigten, viele Wahrsager die Zeichen deuteten, zahllose Redner das Recht verdrehten und nicht wenig Krämer verhökerten, was sie gerade hatten. [21]
Gleichzeitig dienten die Wettkämpfe aber auch als Bühne für politisch motivierte Inszenierungen: So versuchte der Staatsmann Alkibiades die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zu lenken, indem er ein außerordentlich prächtiges Wohnzelt aufstellen und mehrere Gespanne beim Wagenrennen für sich antreten ließ [22]. Bei den Sportstätten wurden Siegesdenkmäler, die den Ruhm einer Polis im Kampf verkündeten, sowie die Abschriften bedeutender Abkommen zwischen den Staaten errichtet - die hohe Besucheranzahl bei den Spielen garantierte, dass die Abmachungen wahrgenommen und in die Welt hinaus getragen wurden.

Fans und Hooligans in der römischen Welt

Im Vergleich zu Griechenland ist in der römischen Welt die literarische wie archäologische Quellenlage zum Zuschauerverhalten bedeutend besser. Zahlreiche Autoren geben uns detaillierte Auskunft über die verschiedenen sportlichen Veranstaltungen und ihre Besucher. Ein eindrucksvolles und ,lebendiges' Bild, das auch durchaus aus unserer heutigen Zeit gegriffen sein könnte, liefert uns beispielsweise Plinius der Jüngere. In einem Brief an seinen Freund Calvisius lässt er diesen an seiner Freude teilhaben, den ihm ein Festtag mit Zirkusspielen, an dem auch Wagenrennen ausgerichtet werden, bereitet: Straßen und Plätze sind menschenleer, ganz Rom drängt sich auf den Stufen des Circus, der Autor aber kann sich währenddessen endlich in Ruhe dem intellektuellen otium hingeben [23].
Welch großen Zustrom die Wettkämpfe und Spiele erfuhren, zeigen auch die Münzfunde: So ist auf einem Sesterz aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert das vollbesetzte Kolosseum abgebildet [24]. Nur wenige Leute blieben den Veranstaltungen fern, zumeist waren dies Intellektuelle, die scheinbar nur Geringschätzung für die Zuschauer und die Athleten übrig hatten. Der Großteil der Bevölkerung Roms besuchte jedoch die Wettkämpfe, zu denen wie in Griechenland viele Menschen aus der Umgebung anreisten. Der Kaiserbiograph Sueton illustriert den enormen Andrang: Zu all diesen Veranstaltungen strömte von überallher eine solche Menschenmenge zusammen, dass sehr viele Ankömmlinge in Zelten auf Straßen und Gassen hausen mussten. Oftmals wurden in dem Gedränge zahlreiche Leute erdrückt, darunter auch zwei Senatoren. [25]
Die Anziehungskraft der Gladiatorenkämpfe und Wettrennen auf die Menschen umfasste Jung und Alt, Arm und Reich, Mann und Frau. Die Kapazität der jeweiligen Austragungsstätten war - auch im Vergleich mit heutigen Stadien - ziemlich groß: Das Kolosseum soll 40.000, der Circus Maximus zur Zeit Julius Caesars schon 150.000 Personen gefasst haben [26]. Die vermögende Bevölkerung war nicht unbedingt bevorzugt, wenn es darum ging, einen Sitzplatz zu erhalten. Für die Ärmsten der Armen, die plebs frumentaria, war der Eintritt ins Stadion nämlich frei. Der soziale Status bestimmte, wo jeder Einzelne saß. So war die ima cavea (= vorderste Sitzreihen) in der Arena für den Kaiser, die städtischen Präfekten und die höchsten Mitglieder der Gesellschaft reserviert. Die media cavea (= mittlerer Bereich) war römischen Bürgern vorbehalten [27], und die summa cavea, also die obersten Ränge, die zugleich auch den schlechtesten Ausblick auf die Geschehnisse in der Arena boten, den peregrini (= Ausländer, Nichtbürger), Frauen, Sklaven und Minderjährigen (Abb. 5).
An erster Stelle in der Beliebtheitsskala der Zuschauer standen die Gladiatorenkämpfe. Nur wenige Menschen äußerten sittliche Bedenken an den blutigen Spielen, und selbst diese wenigen konnten der Faszination des Amphitheaters erliegen, wie das Beispiel des Alypius beweist. Alypius, ein gläubiger Christ und Freund des Kirchenvaters Augustinus, wurde während seines Studiums in Rom entgegen seinem Willen von Kollegen mit in die Arena geschleppt. Um die Grausamkeiten nicht mit ansehen zu müssen, schloss er die Augen, öffnete sie aber, als die Masse laut aufschrie. In diesem Moment durchdrang ihn wilde Gier, konnte er sich nicht mehr abwenden, sondern war von dem Anblick wie gebannt, schlürfte Wut ein und wusste es selbst nicht, hatte seine Wonne an dem frevlen Kampf und berauschte sich an grausamer Wollust. [28]
Allgemein galt in der Arena: Je grausamer das Geschehen […] um so erregender und befriedigender wirkte es auf den Durchschnittsrömer. [29] Auch das weibliche Geschlecht fühlte sich von dem brutalen Treiben nicht abgestoßen - im Gegenteil: Wie zahlreiche Graffiti beweisen, waren die Sportler bei der Damenwelt äußerst begehrt [30]. Der Gemahlin des Marc Aurel, Faustina, wurde sogar eine Affäre mit einem Gladiator nachgesagt [31].
Wagenrennen standen in der Beliebtheitsskala nach den Gladiatorenkämpfen an zweiter Stelle; der Satiriker Juvenal (1./2.Jh. n.Chr.), der schonungslos die Laster der römischen Gesellschaft seiner Zeit darlegte, beschrieb etwa den Fanatismus der zuschauenden Menge: … ganz Rom fasst heute der Zirkus und ein Getöse schlägt an mein Ohr, aus dem ich auf den Erfolg des grünen Tuches schließe. Denn würde es versagen, sähest du diese Stadt traurig und erschüttert wie nach der Niederlage der Konsuln im Staub von Cannae. [32]
Niedergeschlagenheit allein machte jedoch noch keinen ,echten' Anhänger aus - das Fanwesen konnte noch viel seltsamere Blüten treiben. So brachten sich Fans anlässlich des Todes eines von ihnen verehrten Sportlers um [33] oder man versuchte, die Gegner zu vergiften. Bloße Anhängerschaft konnte auch in der Antike schon zu Hooliganismus ausarten. Bei den Wagenrennen waren gewalttätige Ausschreitungen durchaus üblich: Nicht selten kam es zu Schlägereien zwischen Anhängern der factiones [34], doch gehörten diese im Circus anscheinend zum Erlebniskolorit (Abb. 6). Als trauriger Höhepunkt des antiken Hooliganismus dürfen wohl die Tumulte in Pompeji im Jahr 59 n.Chr. gelten: Der Historiker Tacitus berichtet uns in seinen ,Annalen', einem Werk, das die Geschichte des julisch-claudischen Hauses vom Tod des Augustus bis Nero mehr oder weniger streng nach Jahren geordnet abhandelt, dass bei einem Gladiatorenkampf die Bewohner von Nuceria und Pompeji miteinander in Streit gerieten [35]. Anfangs beleidigten sie sich gegenseitig, dann warfen sie Steine und schließlich zückten sie die Schwerter. Etliche Menschen starben, zahlreiche wurden schwer verletzt. Bemerkenswert ist daran, dass beide Gemeinden schon Vorbereitungen für einen Konflikt getroffen hatten, noch ehe sie das Amphitheater betraten. Darauf lässt die Tatsache schließen, dass die Zuschauer bereits mit Steinen und Messern bewaffnet waren, als der Kampf in der cavea ausbrach [36]. Der Senat reagierte auf die Ausschreitungen, indem er die Spiele in Pompeji für zehn Jahre verbot und Livineius Regulus, welcher die Kämpfe ausgerichtet hatte, ins Exil schickte [37]. Wahrscheinlich hatte fehlende militärische Kontrolle zu den Krawallen geführt.
In Rom hingegen sorgten Sicherheitskräfte für Ruhe und Ordnung unter den Zuschauern [38]. 56 n.Chr. zog Nero kurzerhand diese Schutztruppen von allen Veranstaltungen in Rom ab, weil er sich an Zuschauertumulten erfreute und ab und zu auch selbst daran teilnahm [39]. Die Kaiser konnten dem Publikum aber in mehrfacher Hinsicht gefährlich werden, wie an zwei Beispielen gezeigt werden soll: So ließ Caligula die Zuschauer, die sich bei den Zirkusspielen einen Platz sichern wollten, umbringen, weil sie des Nachts seinen Schlaf gestört hatten [40]. Ebenso reagierte Vitellius, als einige Leute aus dem einfachen Volk die blaue factio in Misskredit brachten - er glaubte nämlich, dass sie das aus Verachtung seiner Person und aus Hoffnung auf einen Umsturz getan hätten. [41] Dies zeigt uns überdies, dass auch Politiker nicht immer vom Sportfanatismus verschont blieben.
Den Besuchern drohten jedoch neben den Anhängern der gegnerischen Parteien noch andere Gefahren, denn auch die Stadionbauten selbst boten nicht immer hinreichende Sicherheit. Wiederum ist es Tacitus, der uns Bericht von einem schrecklichen Unglück in Fidenae gibt, bei dem ein überfülltes hölzernes Amphitheater plötzlich in sich zusammenbrach ... und die unermessliche Menge der Menschen, die dem Schauspiel gespannt folgten oder ringsum standen, in die Tiefe riss und unter sich begrub. [42] 20.000 Tote und Verletzte waren zu beklagen. Um künftigen Unglücksfällen vorzubeugen, setzte der Senat fest, dass man für die Ausrichtung von Gladiatorenspielen einen finanziellen Aufwand von mindestens 400.000 Sesterzen betreiben müsse und dass die Amphitheater auf einem ausreichend festen Grund zu errichten seien. Anscheinend fruchteten die Maßnahmen, sind doch aus späterer Zeit keine Katastrophen mehr überliefert.
Auch die wilden Tiere stellten eine Gefahrenquelle dar. Die Feststellung Tertullians, Wie oft haben wilde Tiere sowohl in den Wäldern als auch mitten in den Städten, aus ihren Käfigen entsprungen, Menschen erwürgt!, impliziert, dass es durchaus zu Zwischenfällen mit den für das Amphitheater bestimmten Tieren kam, sowohl inner- als auch außerhalb der Arena [43]. Das Aggressionspotential der Tiere wurde ja noch künstlich gesteigert, indem man sie hungern ließ und mit Feuer zum Kampf in die Arena trieb. Um den Zuschauern einen ausreichenden Schutz zu bieten, musste unter anderem berücksichtigt werden, dass die Raubkatzen in große Höhen springen konnten. Man spannte also meist zwischen der Arena und dem Zuschauerbereich ein Netz, das an Stangen befestigt und am oberen Rand mit Elefantenzähnen versehen war, und platzierte eine Reihe horizontaler Rollen, welche die Bestien am Überwinden des Netzes hinderten [44]. Zum zusätzlichen Schutz wurden im Raum zwischen Zaun und Podium Wächter postiert, die im Falle eines Ausbrechens der Tiere schnell eingreifen konnten. Im Circus Maximus wurde (was jedoch einen Einzelfall darstellt) ein drei Meter breiter und ebenso tiefer Graben ausgehoben, um die Tiere an einer Flucht zu hindern. Caesar hatte diese Maßnahme ergriffen, als Elefanten bei ihrer Zurschaustellung im Circus 55 v.Chr. den Schutzzaun beinahe niedertrampelten und damit die Zuschauer in Panik versetzten [45].
Auch von den Gladiatoren ging eine gewisse Gefahr aus, bedenkt man, dass diese meist Kriminelle und Kriegsgefangene waren, die entgegen ihrem Willen in der Arena fochten. Durch ein relativ hohes Podium [46] und eine sorgsame Auswahl der Waffen [47] konnte das Risiko für die Zuschauer aber auf ein Minimum reduziert werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Römer bei den diversen Veranstaltungen ein überraschend hohes Maß an Sicherheit erreichten. Die antike Überlieferung kann dabei die weit verbreitete Meinung, dass die Römer wahre Meister im Organisieren von Massenveranstaltungen waren, nur stärken [48].
Abgesehen von solchen Gefahren, denen die Zuschauer ausgesetzt waren, mussten sie auch große physische Belastungen verschiedenster Art auf sich nehmen, wobei die Hitze eines der drückendsten Probleme war. Um ihr beizukommen, wurden große Sonnensegel (vela) über die Arenen gespannt, die einen wirkungsvollen Schutz gegen die Sonne boten. Caligula wusste genau, was er den Zuschauern antat, als er an einem brennend heißen Tag plötzlich befahl, die Segel einzuziehen und die Ausgänge zu versperren [49]. Da der Schatten des Sonnensegels nicht alle Reihen erreichte, griffen manche Zuschauer auch zu Sonnenschirmen und Hüten [50].
An heißen, windstillen Tagen erschwerte zusätzlich der Gestank des Blutes und des menschlichen Schweißes die Situation der Besucher. Um das Ausharren etwas erträglicher zu gestalten, zogen Menschen umher, die oft mit Wein oder Balsam vermischtes Wasser zur Kühlung und Parfümierung der Luft versprengten (sparsio). Effektiver als diese ,händische' Methode war die technische, bei der das Wasser durch die Erzeugung von Druck in den Zuschauerraum gesprüht wurde [51].
Die Zuschauer mussten an den Sportstätten auch mit Nahrung versorgt werden. Bis ins Jahr 61 v.Chr. wurden die Gladiatorenspiele ohne Unterbrechung abgehalten, was viele Besucher dazu veranlasste - nicht zuletzt aus Angst, den ergatterten Sitzplatz zu verlieren [52] - ihr Essen selbst in die Sportstätte mitzubringen oder es bei Snackverkäufern zu erwerben. Wie Cicero berichtete, gab es aber bereits in der Republik öffentliche Speisungen [53]. Im Stadion selbst war auch Alkohol erhältlich, wobei ranghohen Personen eine gewisse Menge freien Weines zustand. Anscheinend hatte der Weinkonsum aber keine negativen Auswirkungen auf das Verhalten der Zuschauer [54]. Besonders ab der Zeit Neros gab es auch eine Art Lotterie, die sparsio missilium, bei der im Publikum Gutscheine für große und kleine Geschenke verteilt wurden [55].
Da das Stadion auch ein Ort politischer Repräsentation war, waren auch die Kaiser häufig bei den diversen Veranstaltungen zugegen - selbst dann, wenn sie kein Interesse daran hatten. Als Paradebeispiel eines kaiserlichen ,Sportmuffels' darf wohl Gaius Caesar gelten, der zwar viele Schauspiele ausrichtete, sich aber bei ihrem Besuch anderweitig beschäftigte, indem er etwa seine Korrespondenz erledigte. Augustus lernte von den Fehlern seines Onkels und verfolgte aufmerksam die sportlichen Vorgänge [56]. Es gab aber auch Kaiser, deren Interesse nicht nur gespielt war, sondern aus vollem Herzen kam. Caligula z.B. war ein wahrer Sportenthusiast, der bei den Wagenrennen für die grüne factio Partei nahm. Seine Begeisterung führte so weit, dass er sich als Wagenlenker verkleidete und als solcher agierte, darüber hinaus aber auch im Stall sein Abendessen einnahm und dort übernachtete.
Das Stadion fungierte wie im alten Griechenland auch in Rom als Bühne der Politik. Und wenn mit panem et circenses auch eine politische Entmündigung des Bürgers, gleichsam seine Betäubung, erreicht werden sollte, so kam es im Stadion doch häufig zu Willensäußerungen von Seiten des Publikums. Beim Eintreten ranghoher Personen zeigten die Zuschauer durch Pfeifen, Klatschen, Applaudieren usw. ihr Gefallen bzw. Missfallen. Derartige positive oder negative Begrüßungen waren fester Bestand der meisten öffentlichen Darbietungen [57]. Die Reaktion der Zuseher demonstrierte dem Kaiser die Popularität einer bestimmten Person und diente ihm manchmal auch als Richtlinie dafür, wie er den Betreffenden fortan behandelte. Es konnte aber auch zu richtigen Aufständen kommen: So machte das Volk seinem Ärger über den Politiker Cleander während eines Wagenrennens im Circus Luft; es stürmte von den Rängen und zum Kaiser, der den unliebsamen Politiker und dessen Sohn töten ließ [58].
Das Stadion diente neben sportlichen und politischen Aktivitäten aber auch als ein Ort der Begegnung und der intellektuellen Gespräche. Hatten die Gelehrten meist nur Spott und Verachtung für die Wettkämpfe und Spiele übrig [59], so besuchten dennoch viele von ihnen die Arenen oder Amphitheater. Was sie motivierte war aber viel mehr als das sportliche Ereignis der geistreiche Austausch mit anderen Intellektuellen. Daneben waren die Spiele gemäß dem berühmten Dichter Ovid, der in seiner ,Ars amatoria' unter anderem Flirttipps erteilt, auch ein willkommener Anlass, um hübsche Mädchen zu treffen [60]. Als Treffpunkt wurde hierbei natürlich der Circus bevorzugt, da im Amphitheater eine strikte Geschlechtertrennung herrschte, die eventuelle Annäherungsversuche schon im Keim erstickte.
Auch rund um die Austragungsorte entwickelte sich ein reges Leben. So fand der Zuschauer beispielsweise in der Umgebung des Circus Maximus alles vor, was er zur Erheiterung und zur Befriedigung seiner geistigen und körperlichen Wünsche benötigte. Es konnte erworben werden, was immer das Herz begehrte: von Lebensmitteln bis hin zu kitschigen Souvenirs, die die Lieblinge der Rennbahn darstellten. Wer fühlt sich da nicht unweigerlich an heutige Geschäftemacher mit ihren vielfältigen Fanartikeln erinnert? Es gab Kneipen und Wettbüros und wenig vertrauenerweckende Personen wie Wahrsager, Gaukler und Astrologen. Auch Tänzerinnen und Prostituierte tummelten sich in der Menschenmasse. Letztere gab es rund um den Circus in einer solchen Vielzahl, dass der Christ Cyprian mit offenbarem Missfallen bemerkte, dass der Weg in den Circus über das Bordell führe [61].
Trotz alledem stellten die ludi (= Spiele) in der römischen Welt eine wichtige Institution dar: Sie dienten als politisches Mittel und waren gleichzeitig Rahmen für politische Meinungsbekundung, sie waren profane, oft grausame Unterhaltung und zugleich Ort für intellektuelle Gespräche, sie kosteten dem Staat viel Geld und sicherten vielen den wirtschaftlichen Unterhalt - die Parallelen zu sportlichen Großveranstaltungen in moderner Zeit sind offensichtlich.

Fans und Hooligans in der heutigen Zeit

Der bekannte Ausspruch von Earl Warren, von 1953 bis 1969 oberster Bundesrichter der USA: Ich lese immer die Sportseite einer Zeitung zuerst. Die Sportseite berichtet über das, was die Menschen erreicht haben; die Titelseite der Zeitung hingegen verzeichnet nur die Fehlschläge des Menschen, gibt uns in anschaulicher Weise einen Eindruck von der Attraktivität des Sports, der in seiner ungeheuren Vielfalt nicht nur viele Menschen zu einer aktiven körperlichen Betätigung bewegt, sondern zwecks ,Ausübung von Passivsport' auch vor den Fernseher oder ins Stadion zu locken vermag. Enorm ist das Zuschauerinteresse an hochkarätigen Sportveranstaltungen, wobei sich besonders der Fußball einer hohen und weltumspannenden Aufmerksamkeit erfreut. Dabei erfüllt der Sport viel mehr als nur das Bedürfnis der Zuschauer nach Unterhaltung. Wie der Psychologe Alexander Mitscherlich (1908-1982) feststellte, … geht ein brüderlicher Zug durch allen Sport: je mehr Sport, desto bedeutungsvoller ist seine sozialisierende Funktion, das heißt seine Mitwirkung daran, das Leben dieser Gesellschaft erträglicher zu machen [62].
Leider wird einem brüderlich-friedlichen Miteinander der Zuschauer jedoch allzu oft Abbruch getan: Stadien werden zu Schauplätzen von Gewalttaten, zu Orten nationalistischer Auseinandersetzung. Ein besonderes Problem in heutiger Zeit stellt der ,Hooliganismus' dar. Der Begriff, der etymologisch nicht sicher geklärt ist, leitet sich vielleicht von der irischen Familie ,Houlihan' ab, die im späten 19. Jh. in London lebte und wegen ihrer Kampfeslust berühmt war [63]. Soweit die Komplexität des Ausdrucks eine Definition zulässt, versteht man unter ,Hooligans' gewalttätige, in der Regel in Gruppen auftretende Jugendliche. Ursprünglich in der proletarischen Subkultur der Industriestädte (bes. Großbritanniens) beheimatet, entwickelten sie eine eigene Gruppenidentität, die sich in einem provozierenden Auftreten in der Öffentlichkeit, Randalen und gewalttätigen Übergriffen äußert und ihre Mitte in einer ›Philosophie des Kampfes‹ hat, die die Auseinandersetzung (Schlägerei) mit anderen Hooligangruppen […] sucht. [64]
Die hohe Gewaltbereitschaft muss dabei nicht zwangsläufig auch auf das normale, alltägliche Leben des Rowdys zutreffen. Während englische Hooligans meist aus der sozialen Unterschicht kommen und vor ihren ,Aktionen' zu Alkoholkonsum neigen, rekrutieren sich deutsche ,Hools' aus allen Gesellschaftsklassen und Berufsgruppen, sind psychosozial aber durchaus nicht unauffällig [65]. Häufig spielt das sportliche Ereignis für Hooligans nur eine sekundäre Rolle als Rahmen für die blinde Ausübung von Gewalt. Was diese Menschen treibt, ist vielmehr die Suche nach Spaß, der Wunsch, sich mit Gleichgesinnten zu messen, extreme emotionale Erfahrungen zu machen und sich mit der Staatsmacht zu reiben. [66] Der Ethnologe Bill Buford beantwortet in seinem Buch "Geil auf Gewalt" die Frage, warum junge Männer jeden Samstag Randale machen, mit den Worten: Sie machen dies aus demselben Grund, aus dem frühere Generationen sich betranken, Hasch rauchten, Drogen nahmen […]. Gewalttätigkeit bereitet ihnen einen antisozialen Kitzel, sie ist für sie ein bewusstseinsveränderndes Erlebnis, eine vom Adrenalin bewirkte Euphorie … [67].
Unter den Hooligans ist auch ein rechtsextremes Element auszumachen. Noch bildet es zwar einen relativ geringen Prozentsatz [68], aber die Tendenz ist steigend. Immer häufiger werden Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit offen geäußert und entsprechende Symbole zur Schau getragen. In deutschen Stadien kursieren rassistische Gesänge und Parolen - eine Entwicklung, die ein Seismograph für rechte, ausländerfeindliche Stimmung in Deutschland zu sein [69] scheint.
Allgemein nahm das Problem des Hooliganismus besonders seit 1985 an Gewichtigkeit zu, als 38 Menschen im Heysel-Stadion von Brüssel durch englische Hooligans noch vor Beginn des Spieles den Tod fanden [70]. Wie prekär die Situation momentan ist, zeigten beispielsweise die Prognosen des deutschen Innensenators Ehrhart Körting, welcher für das erste Spiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Berlin 1.500 Hooligans aus Kroatien erwartete. Zwar gibt es bei den Hooligans eine Art Ehrenkodex, nach dem man sich nur mit anderen Hooligangruppen auf einen ,fight' einlassen darf und der es verbietet, Waffen zu verwenden und auf dem Boden liegende Personen zu schlagen [71], doch findet er zunehmend keine Beachtung mehr. Als Beispiel dafür kann der Fall des französischen Polizisten Daniel Nivel herangezogen werden, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 nach dem Vorrundenspiel Deutschland gegen Jugoslawien im Kampf mit Hooligans derart grobe Verletzungen davontrug, dass er heute schwer behindert ist [72].
Viele friedliche Fans schrecken solche Aussichten und sie verfolgen die jeweiligen Veranstaltungen lieber aus sicherer Entfernung. Durch verschiedene Maßnahmen versucht man aber, dem Problem beizukommen: So wurde in Hinblick auf die bereits erwähnten Weltmeisterschaften in Deutschland eine Datenbank gewalttätiger Zuschauer erstellt, die mit Stadionverbot belegt wurden [73], und 3200 englischen Hooligans ist während der Spiele die Ausreise aus ihrem Heimatland verboten worden [74]. Standardmäßige Sicherheitsvorkehrungen zur Vermeidung gewalttätiger Ausschreitungen stellen auf Empfehlung des Europarates unter anderem das Verbot der Mitnahme von Alkohol ins Stadion, eine massive Kameraüberwachung oder die Segmentierung der Zuschauerränge dar [75].
Neben randalierenden Fans darf bei der Konzeption von Stadien auch die Dynamik der zuschauenden Masse nicht außer Acht gelassen werden. Mehrmals im 20. Jahrhundert kam es zu Katastrophen, weil die Stadien dem enormen Menschenandrang nicht gewachsen waren. Eines seiner schrecklichsten Sportunglücke erlebte England am 15. April 1989: Bei einem Halbfinalspiel im Hillsborough-Stadion in Sheffield wurden aufgrund von Überbelastung und nachlässigen Verhaltens 96 Fans des FC Liverpool erdrückt, 170 Personen trugen Verletzungen davon [76]. Selbst wenn man sich heute auch in dieser Hinsicht um eine strukturelle Verbesserung der Wettkampfstätten bemüht, bergen viele Stadien erhebliche Mängel. Die ,Stiftung Warentest' untersuchte in Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 die Sicherheit der zwölf deutschen WM-Austragungsstätten und stellte dabei große Risiken für die Fans fest. Ihr Ergebnis: Bei einer Massenpanik würden in vier Stadien verheerende Folgen drohen, weil den Zuschauern eine schnelle Flucht nicht möglich sei [77]. Das WM-Organisationsteam sprach von einem Fehlurteil [78].
Wie in der Antike sind die Stadien aber nicht nur ein Ort sportlicher Betätigung, sondern sie dienen auch politischen Zwecken bzw. politischem Missbrauch. Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) meinte einmal: Dem Sport ist zu allen Zeiten und vor allem von allen Regierungen aus gutem Grund immer die größte Bedeutung beigemessen worden, er unterhält und benebelt und verdummt die Massen, und vor allem die Diktaturen wissen, warum sie immer und in jedem Fall für den Sport sind. [79]
Versuchte man in der Vergangenheit mit sportlichen Wettkämpfen von innenpolitischen Problemen abzulenken und das Bild einer heilen Welt zu konstruieren, so gilt dies auch für die heutige Zeit in einem bestimmten Maße: Die realistische Sicht auf soziale, politische und wirtschaftliche Zustände wird durch den Sport vernebelt, das jeweilige Gastland bemüht sich um eine möglichst positive Stilisierung seiner selbst und neigt dazu, aktuelle Probleme in den Hintergrund zu drängen. Das Stadion dient als Bühne, auf welcher sich die einzelnen Politiker gezielt inszenieren und ihre Nähe zum Volk demonstrieren können. Besonders die ungemeine Popularität und Präsenz des Fußballs in der (Medien-)Öffentlichkeit bietet der Politik eine ungleich attraktivere Möglichkeit, verschiedene Bevölkerungsgruppen und -schichten zu erreichen. [80] Vor allem männliche Politiker nutzen diese Chance auf einen prestigeträchtigen Auftritt im Fußballstadion, Politikerinnen hingegen waren und sind […] kaum zu sehen. [81]
Das Stadion als politisch neutrale Zone, wie sie von vielen Fans gefordert wird, gibt es kaum oder gar nicht [82]. Einige wenige Politiker treten darüber hinaus nicht nur als Zuschauer auf, sondern sind direkt in den Sportzirkus involviert: So besaß etwa der ehemalige italienische Ministerpräsident und Medienmogul Silvio Berlusconi den erfolgreichen Fußballverein AC Milan. Achtzehn Jahre lang stand er ihm als Präsident vor, bis ein Gesetz ihm dies unmöglich machte. Der Kapitän Paolo Maldini versicherte, dass Berlusconi seinem ehemaligen Club auch in Zukunft trotzdem immer nahe bleiben werde [83]. Ob sich ein Politiker tatsächlich für ein Wettkampfgeschehen interessiert oder ob er sich - trotz Unkenntnis der Disziplin und ihrer Codes - im Stadion nur in Szene setzen will, ist für die meisten Fans durchaus feststellbar.
Außer zur Selbstinszenierung wurden und werden die Wettkämpfe wie in der Antike auch zum Schauplatz politisch motivierter Taten, in moderner Zeit freilich in höherem Maße, da die enorme Medienpräsenz bei großen Veranstaltungen gleichsam die weltweite Verbreitung der jeweiligen Botschaften garantiert. Das prominenteste und gleichzeitig traurigste Beispiel lieferten die Olympischen Spiele 1972 in der Bundesrepublik Deutschland, als es zu einem Massaker an der israelischen Olympiamannschaft kam. Am 5. September drangen fünf Mitglieder des ,Schwarzen September', einer arabischen Guerilla-Organisation, in das israelische Quartier des olympischen Dorfes in München ein. Zwei Israelis wurden sofort getötet, neun weitere als Geiseln genommen mit dem Ziel, 200 Palästinenser aus israelischer Haft frei zu pressen. Opfer wie Täter fanden bei der Befreiungsaktion den Tod [84]. Dieses Ereignis und die Reaktionen (Abb. 8) darauf warfen einen dunklen Schatten auf die Olympischen Spiele des Jahres 1972 und veranlassten Fragen nach dem Stellenwert des Olympischen Gedankens.
Für Pierre de Coubertin, den Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, war dieser von besonderer Bedeutung. In einer Rede vor der athenischen Vereinigung ,Der Parnass' bemerkte er: Aus diesem Grunde sollen die widererweckten Olympischen Spiele alle vier Jahre der Jugend der Welt die Gelegenheit zu einem glückhaften und brüderlichen Zusammentreffen geben, bei dem nach und nach die Unwissenheit verschwinden wird, die die Vorstellungen der einzelnen Völker voneinander prägt, diese Unwissenheit, die Haßgefühle lebendig erhält, Mißverständnisse aufhäuft und die Ereignisse häufig in Richtung auf einen barbarischen und gnadenlosen Kampf sich überstürzen läßt. [85]
Auch heute ist in den Stadien der Kampf zwischen den Nationen noch nicht ausgefochten. Immer noch ist der Sport - auch im Kleinen - sehr stark von nationalistischen Elementen durchsetzt: Jedes Land versucht so viele Triumphe wie nur möglich zu erringen, der Medaillenspiegel wird während der Wettkämpfe peinlich genau beobachtet. Die Zuschauer unterstützen diesen Nationalismus durch den Kauf von allerlei Fanartikeln, welche die Zugehörigkeit zum jeweiligen Staat belegen, indem sie ihre Fahne schwenken und sich nach Nationen geordnet auf den Tribünen zusammenrotten - die Völkerverbindung also nur eine Lebenslüge zugunsten des Patriotismus im Sport, der die allgemeine gesellschaftliche Sensibilität wiederspiegelt ? Dieser Frage kann hier nicht weiter nachgegangen werden, allerdings ist der Sport als ein Element, das den Kontakt zwischen Völkern verschiedener Herkunft fördert, durchaus nicht zu unterschätzen, kämpfen doch bei den Fußballweltmeisterschaften 32 Nationen um den Titel, bei den Olympischen Spielen sogar (aufgrund der Vielfalt der Disziplinen) sehr viele mehr [86].
Selbst wenn die Zuschauer im Stadion dann ,unter sich' bleiben, kommen sie zusammen, um dort soziale Kontakte zu pflegen und aufzubauen, Beziehungen zu intensivieren, Gemeinschaftsgefühl zu erleben. [87] Im Stadion treten die Besucher nicht als voneinander losgelöste Einzelpersonen auf, sondern als Masse, in der jede Individualität untergeht. Wenngleich heute nur ein Bruchteil des Abermillionenpublikums eines "Spitzenspiels" […] in der Arena selbst [88] sitzt, so sind die Fans auf den Rängen auch für die Zuschauer zu Hause von großer Bedeutung. Die modernen Medien erlauben es zwar, dass auch der Fan außerhalb des Stadions direkt ,am Ball' bleibt, aber erst die Stimmungsmacher in der Arena liefern die nötige Atmosphäre, ermöglichen ein Massenerlebnis und schüren die Emotionen vor den Fernseh- und Radiogeräten bzw. vor den riesigen Leinwänden. Auch dem Internet kommt in dieser Hinsicht eine immer größere Bedeutung zu, und selbst Zeitungen und sportspezifische Magazine sind - obwohl sie an Wichtigkeit eingebüßt haben - bis zum heutigen Tag noch sehr populär [89]. Ob sich die gewaltige Medienpräsenz in Verbindung mit dem momentan herrschenden Sicherheitswahn eventuell negativ auf die Anzahl der Zuschauer in den Arenen auswirken könnte, steht auf einem anderen Blatt. Trotz der gesamten mit dem Sport verbundenen Problematik ist der Sport ein Element, das fest in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Er bietet vielen Menschen Unterhaltung, Trost, vermittelt Aufgehobenheit in der Gemeinschaft, ist aber zugleich ein Anlass für Ärgernis.
Wie sagte schon Dion Chrysostomos vor ungefähr 2000 Jahren: Bei euch bleibt keiner beim Zuschauen auf seinem Platz [90] - dies gilt auch für die Zuschauer der heutigen Zeit.




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[1] Laser 1987, 83.
[2] M. Herrmann, Zur Frau als Zuschauerin bei Wettkämpfen in römischer Zeit, Nikephoros 5, 1992, 91.
[3] I. Weiler, Zum Verhalten der Zuschauer bei Wettkämpfen der Alten Welt, in: E. Kornexl (Hrsg.), Spektrum der Sportwissenschaften (1987) 57.
[4] Wünsche - Knauß 2004, 34ff.
[5] Vgl. dazu Epikt. Diatribai I 6, 26.
[6] Ail. var. XIV 18.
[7] L. De Crescenzo, Geschichte der griechischen Philosophie (1990) 35f.; vgl. dazu auch Diog. Laert., De claro-rum philosophorum vitis I 39.
[8] Wünsche - Knauß 2004, 242.
[9] Er wurde zum Schutz der Festgäste eingeführt und soll im Falle der Olympischen Spiele von Lykurg und Iphitos beschlossen worden sein. Nach Paus. V 20, 1 gab es in Olympia einen Diskos, auf welchem der Gottesfrieden aufgezeichnet war.
[10] M.I. Finley - H.W. Pleket, The Olympic Games (1976) 57.
[11] s. dazu M. Lämmer, Zum Verhalten von Zuschauern bei Wettkämpfen in der griechischen Antike, in: G. Spitzer - D. Schmidt, Sport zwischen Eigenständigkeit und Fremdbestimmung (1986) 80; W. Petermandl, Geht ihr aber ins Stadion ... Ein althistorischer Blick auf das Sportpublikum wie es war, wie es ist und wie es immer sein wird, in: M. Marschik - R. Müllner - G. Spitaler - M. Zinganel (Hrsg.), Das Stadion. Geschichte, Architektur, Politik, Ökonomie (2005) 127-152.
[12] Attischer Krater, 580/70 v.Chr. - Athen, Nationalmuseum Inv.Nr. 15499.
[13] Vgl. Philostr. Imag. II 6.
[14] Plut. mor. 79 (Übersetzung G. Doblhofer).
[15] Vgl. Pol. XXVII 9, 3-13.
[16] Weiler (Anm. 3) 52ff.
[17] Vgl. Paus. VI 13, 1.
[18] Dazu s. S.G. Miller, Excavations at Nemea II. The Early Hellenistic Stadium (2001) 236ff.
[19] Wünsche - Knauß 2004, 244.
[20] Vgl. Lukian. Herodot 1f.
[21] Dion Chrys. VIII 9 (Übersetzung W. Ellinger).
[22] Thuk. VI 16, 2.
[23] Plin. epist. IX 6.
[24] Weiler (Anm. 3) 50.
[25] Suet. Iul. Caes. 39, 4 (Übersetzung O. Wittstock).
[26] Weiler 1988, 236.
[27] Diese mussten auf eine Verfügung des Augustus hin bei den Spielen ihre Toga tragen; vgl. Suet. Aug. 44, 2.
[28] Aug. conf. VI 8, 13 (Übersetzung W. Thimme).
[29] Weeber 1994, 7.
[30] Vgl. z.B. CIL IV 4356.
[31] Vgl. H. A., Marcus Aurelius 19, 7.
[32] Iuv. XI 197-201 (Übersetzung J. Adamietz).
[33] Vgl. Plin. nat. VII 186.
[34] factio: Circuspartei mit bestimmter Trikotfarbe (grün, blau, weiß oder rot). Im 2. nachchristlichen Jahrhundert gingen die factio russata und die factio alba zu einem Großteil in der grünen und blauen Partei auf.
[35] Tac. ann. XIV 17.
[36] Scobie 1988, 219.
[37] W.O. Moeller, The Riot of A. D. 59 at Pompeii, Historia 19, 1970, 94.
[38] Vgl. Scobie 1988, 219.
[39] Tac. ann. XIII 24; Suet. Nero 26, 2.
[40] Suet. Cal. 26, 4.
[41] Suet. Vitell. 14, 3.
[42] Tac. ann. IV 62 (Übersetzung E. Heller).
[43] Tert., Ad martyres VI (Übersetzung K.A.H. Kellner).
[44] s. F. Coarelli, Rom. Ein archäologischer Führer (1989) 171.
[45] Plin. nat. VIII 7, 20-21.
[46] Scobie 1988, 212.
[47] Ebenda. - Die Gladiatoren durften nur Waffen verwenden, die für die Zuschauer nicht gefährlich werden konnten. Speere, Pfeile und dergleichen mehr waren somit vom Gebrauch ausgeschlossen.
[48] Scobie 1988, 228.
[49] Suet. Cal. 26, 5.
[50] Cass. Dio, LIX 7, 8.
[51] Scobie 1988, 223f.
[52] Hierüber kam es auch zu einer Auseinandersetzung zwischen Augustus und einem Ritter, welchen der Kaiser kritisierte, weil er in der cavea seine Mahlzeit zu sich nahm. Der Ritter argumentierte seine Verhaltensweise damit, dass er sich - im Gegensatz zum Kaiser - seinen Platz sichern müsse. Vgl. dazu Sen. epist. VI 3, 63.
[53] Cic. off. II 16, 55.
[54] Scobie 1988, 225.
[55] Scobie 1988, 218.
[56] Suet. Aug. 45.
[57] Vgl. Weeber 1994, 149.
[58] Cass. Dio, LXXIII 13, 3f.
[59] s. dazu etwa Plin. epist. IX 6: Wenn ich mir vorstelle, dass dieses seichte, törichte und monotone Vergnügen sie an ihren Platz heftet, niemals gesättigt, empfinde ich eine gewisse Freude, dass mir das kein Vergnügen bereitet.
[60] z.B. Ov. ars. I 135f.
[61] Nach Weeber 1994, 60.
[62] s. http://www.zitate.de/ergebnisse.php?kategorie=Sport (18.06.2006)
[63] E. Dunning u.a. (Hrsg.), Fighting Fans. Football Hooliganism as a World Phenomenon (2002) 225.
[64] Brockhaus. Die Enzyklopädie X20 (1997) 249 s.v. Hooligan.
[65] Vgl. F. Lösel - Th. Bliesener, Gewalt durch Hooligans, in: Das Magazin 2, 2002 (hrsg. vom Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen), online unter: http://www.wz.nrw.de/magazin/magazine.asp (11.05.2006).
[66] Ebenda.
[67] B. Buford, Geil auf Gewalt (1992) 245.
[68] Lösel - Bliesener (Anm. 65).
[69] G.A. Pilz, "Deutschland den Deutschen" - Gedanken und Fakten zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Fußballfan- und Hooliganszene, aus: Hooligans.de. Das Online Magazin (s. unter: http://www.hooligans.de/info_ueber/Uber_Hooligans/Wissenschaftliche_Texte/wissenschaftliche_texte.html) (10.05.2006). Zur Katastrophe im Heysel-Stadion s. die Photodokumentation auf http://www.dradio.de/dlf/sendungen/fussballreportage/506187/bilder/image_main/.
[70] Vgl. M.-M. Borgmann - M.H.W. Flohr, Nenn mir einen guten Ground. Das Stadion und sein Name: Mythos, Katastrophe, Zankapfel, in: Marschik u.a. (Hrsg.) (Anm. 11) 307ff.
[71] Vgl. I.-F. Meier, Hooliganismus in Deutschland. Analyse der Genese des Hooliganismus in Deutschland (Berlin 2001) 63f.
[72] Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Juni 1998, 1ff.; Süddeutsche Zeitung vom 29. Juli 2003, 4f.
[73] http://fifaworldcup.yahoo.com/06/de/050330/1/1s5h.html (28.04.2006).
[74] Vgl. ,Reiseverbot für britische Hooligans', Spiegel Online vom 30. Mai 2006. (http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,418872,00.html).
[75] Vgl. European Convention on Spectator Violence and Misbehaviour at Sports Events and in particular at Football Matches, Strasbourg, 19. August 1985, online unter: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/120.htm (10.04.2006).
[76] Vgl. C. van Winkel, Tanz, Disziplin, Dichte und Tod. Die Masse im Stadion, in: Marschik u. a. (Hrsg.) (Anm. 11) 229ff. Aktuelle Berichterstattung nach den Tumulten in Hillsborough: http://news.bbc.co.uk/onthisday/hi/dates/stories/april/15/newsid_2491000/2491195.stm.
[77] Vgl. Viermal die rote Karte, in: Test Nr. 2 (Februar 2006) 78ff.
[78] Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 18. Jänner 2006, 27.
[79] T. Bernhard, Die Ursache. Eine Andeutung (2005) 53f.
[80] M. Pinter, Die Ehrentribüne als politische Bühne. Politiker im Fußballstadion, in: Marschik (Anm. 11) 336.
[81] Pinter a.O. 323. - Ausnahmen stellen in Österreich die seinerzeitige Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer oder in Deutschland die Bundeskanzlerin Andrea Merkel dar.
[82] Pinter a.O. 327.
[83] Vgl. La repubblica vom 29. Dezember 2004, 48.
[84] Vgl. S. Scharenberg, Nachdenken über die Wechselwirkung von Architektur und Wohlbefinden. Das Olympiastadion in München, ein politischer Versammlungsort, in: Marschik (Anm. 11) 164ff.
[85] P. de Coubertin, Der Olympische Gedanke. Reden und Aufsätze (1967) 10.
[86] Beispielsweise nahmen an der Sommerolympiade 2004 in Athen 202 Nationalmannschaften teil.
[87] Pinter (Anm. 80) 330.
[88] J. Becker, Logistik der Massen. Vom Stadion zur Freizeitindustrie, in: Marschik (Anm. 11) 343.
[89] s. dazu A. Guttmann, Sports spectators (1986) 128ff.
[90] Dion Chrys. XXXII 81-85 (Übersetzung W. Ellinger).

© Katharina Preindl
e-mail: katharina.preindl@rolmail.net

This article should be cited like this: K. Preindl, Fans und Hooligans in der Antike, Forum Archaeologiae 42/III/2007 (http://farch.net).



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