Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 30 / III / 2004

DIE GEWINNUNG DER OBELISKEN IM ALTEN ÄGYPTEN ALS BEISPIEL FÜR GEDANKEN ZU EINER KULTURGEOLOGIE

Manfred Bietak in Freundschaft gewidmet

Die Trinität von Stein-, Bronze- und Eisenzeit wurde Mitte des 19. Jh.s formuliert und zeigt die enge Verknüpfung von Kulturgeschichte und Geowissenschaften. Sinnbild für diese Verknüpfung sind die Werkstoffe der frühen Menschheitsgeschichte. Der Mensch von heute lebt noch intensiver als der Frühmensch von den Rohstoffen aus der Erde, nur ist er sich heute dessen nicht mehr bewusst, ja man kann sagen er verdrängt diese extreme Abhängigkeit von "Mutter Erde" ganz gezielt.
Der Begriff der "Kulturgeologie" soll eine Synthese zwischen Erdwissenschaften und Kulturgeschichte schaffen, und hat die Aufgabe durch neue Standpunkte Vorhandenes mit einem neuen Blickpunkt zu versehen und dabei neu zu betrachten. In diesem Sinn ist die Kulturgeologie keine neue Wissenschaft, sondern - um ein plastischeres Bild zu geben - eine Neuordnung der vorhandenen Mosaiksteinchen zu einem neuen Bild.

Definition des Begriffs "Kulturgeologie":
Kulturgeologie ist die Vernetzung der Geowissenschaften mit den Kulturwissenschaften unter dem Aspekt, dass allgemeine geologische Phänomene Voraussetzung für die Entwicklung der Kulturgeschichte sein können.

Dieses "neue" Bild wird durch mehrere Akzente geprägt, die jeder für sich zwar bekannt und auch bewusst sein dürfte, jedoch fehlt bisher der Konnex zwischen Kultur- und Geowissenschaften. Als Beispiele dieser Akzente seien genannt:

Akzente der Kulturgeologie Nachbardisziplinen Zielpunkte
Historischer Akzent Ur- und Frühgeschichte, Archäologie Geologie von Siedlungen, Entwicklung politischer Einheiten, Rohstoffhandel
Technologischer Akzent Technikgeschichte Bautechnik, Steintechnologie, Hüttenwesen und Bergbau, Bauforschung
Umweltakzent Umweltgeologie, Physik, Chemie Umweltfaktoren einst und jetzt
Soziologischer Akzent Klimatologie, Soziologie, Kulturgeschichte Geofaktoren f. d. soziologische Entwicklung, Klimaänderungen, Völkerwanderungen


Die Gewinnung der altägyptischen Obelisken soll als Beispiel diese "neue" Sichtweise der Geowissenschaften illustrieren:
Die als "Nadeln der Pharaonen" bekannten Monolithe aus dem "Rosengranit von Assuan" (Abb. 1) haben schon zur Zeit ihrer Herstellung Bewunderung und Faszination ausgeübt, wobei auch heute noch immer wieder die Frage nach der Gewinnungsmethode, aber auch nach dem Transport gestellt wird, und bisher nur unbefriedigend - aus der Sicht des Geologen - beantwortet werden konnte.

1922 und 1923 hat R. Engelbach [1] - anhand des unvollendeten Obelisken der Königin Hatschepsut im Assuaner Steinbruch - versucht, diese Fragen auf archäologischem Weg zu beantworten, und er ging den damals bekannten technologischen Pfad der Marmorgewinnung (Abb. 2). Dies bedeutet die Anlage eines Schrots (= herausgemeißelte Rinne rund um das Objekt) rund um den zu schaffenden Monolith und anschließendes Abkeilen vom Untergrund durch quellende Hölzer. Für Kalkgesteine aller Arten (Kalke, Kalkmarmore, Kalksandsteine usw.) ist diese Methode seit der Antike bekannt und wird auch heute noch angewendet.
Für Tiefengesteine (= Plutonite wie z.B. Granit, Syenit, Tonalit usw.) kann dieses Verfahren niemals im gleichen Stil angewendet werden, denn diese Gesteine sind in Tiefen von mehr als 15-20 km aus einer Schmelze erstarrt, und bergen interne Spannungen, die, sobald das Tiefengestein an die Oberfläche kommt, abgebaut werden, d. h. es entstehen dadurch offene Klüfte (= Risse) deren Abstände zueinander abhängig vom Verhältnis Spannungen zur Festigkeit des Gesteins ist [3](Abb. 3).

Abgesehen von den Schwierigkeiten des Verfahrens zur Schrotherstellung, blieben die in Graniten auftretenden, so genannten "Spannungen" unberücksichtigt. A. Kieslinger [2] hat in den 50er und 60er Jahren diesem Problem große Aufmerksamkeit gewidmet, da für ihn die Granitsteinindustrie und ihre technologischen Probleme von großer Bedeutung waren. Er konnte damals zeigen, dass die "Wollsackverwitterung" (z.B. in der Blockheide bei Gmünd, "Mons Claudianus" in Ägypten, Felsberg im Odenwald u. a.) in Graniten das Ergebnis eines (triaxialen) Spannungsfeldes in den Plutoniten seien, denn das in Graniten typische, triaxiale Kluftsystem wäre nur das Ergebnis dieser abgebauten so genannten Spannungen.

Die Alten Ägypter arbeiteten in Assuan von oben nach unten, also von den "Wollsackblöcken" an der Oberfläche in den gewachsenen Fels, wobei die Dimensionen der Blöcke gleichzeitig die Dimensionen des Kluftsystems abbilden [4], und damit ist auch der limitierende Faktor zur Obeliskenlänge vorgegeben (Abb. 4).
Im gewachsenen Fels herrschen enorme "Rest"spannungen, die bei der Herstellung eines Schrots (s.o.) unkontrolliert und damit unberechenbar abgebaut würden, so dass ein Granitmonolith mit der Schrotmethode der Marmorindustrie nicht gewonnen werden kann (Abb. 5 [5]).
Wird jedoch im gewachsenen Granit rund um den zu schaffenden Obelisken oder Monolithen ein "Schacht bei Schacht" Verfahren praktiziert, ergeben sich folgende Vorteile (Abb. 6 [6]) :
1. Es kann sehr präzise und Kräfte schonend gearbeitet werden, was bei dem herrschenden Wüstenklima nicht zu unterschätzen ist,
2. es können die Zwischenwände die vorhandenen Spannungen solange aufnehmen, bis die vorgesehene Tiefe der Schächte erreicht ist, und
3. es können durch den gleichmäßigen Abbau der Zwischenwände die "Rest"spannungen kontrolliert aktiviert werden, denn sobald die Zwischenwände entfernt wurden, wird an der zukünftigen Basis des Monolithen die noch vorhandene Spannung dermaßen erhöht, dass sie die Festigkeit des Granits übersteigt und so öffnet sich mit einem deutlichen Knall eine Kluftfläche.

Betrachtet man den Steinbruch in Assuan unter diesem Blickwinkel finden sich zahlreiche derartige, künstlich aktivierte Kluftflächen von abgebauten, früheren Monolithen und außerdem sind am Boden des vorhandenen "Schrotes" die Spuren der "Schachtköpfe" als rundliche Vertiefungen deutlich erkennbar (Abb. 8) [7].

Der vorhandene, unvollendet gebliebene Obelisk hat mit seinen Dimensionen (ca. 40 x 4 x 4m) den die Länge limitierenden Kluftabstand von ca 30 m bei weitem überschritten. Außerdem wurde die notwendige Tiefe für die Aktivierung der z4 Ebene nicht erreicht und er ist dadurch mit mehreren, diagonal verlaufenden Kluftflächen unkontrolliert entspannt und unbrauchbar geworden (Abb. 7). Da die Trennebene z4 in mehr als 4 m Tiefe liegen dürfte wäre auch die Grenze der y1, y2 usw. Ebenen überschritten worden, so dass das Zerreissen des bereits vorhandenen Monoliths eingetreten wäre. Selbst spätere Versuche aus ptolemäischer und römischer Zeit, den Block doch noch zu verwerten, scheiterten, denn ohne den vorhandenen Restpannungen ist der "der Stein tot".

Weiterführende Literatur:
R. Engelbach, The Aswan Obelisk. With some remarks on the ancient engineering (1922).
R. Engelbach, The Problem of the Obelisks (1923).
A. Kieslinger, Spannungen und Entspannungen im Steinbruchgebiet, Berg und Hüttenmännische Monatshefte, 113, Heft 8 (1968).
J. Röder, Zur Steinbruchtechnik des Rosengranits von Assuan, AA 1965, 467-552.
W. Vetters, Ancient quarries around Ephesus and examples of ancient stone-technologies. Engineering Geology of Ancient Works, Monuments and Historical Sites, in: Marinos & Koukis, eds., Balkema (1990) 2067-2078.
W. Vetters, Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit……..und dann hört die Geologie auf? Festkolloquium "140 Jahre Geologie an der TU-Wien", Mitt. f. Ingenieurgeologie und Geomechanik, 4, 2001, 57-73.

[1] R. Engelbach, The Aswan Obelisk. With some remarks on the ancient engineering (1922); R. Engelbach, The Problem of the Obelisks (1923).
[2] A. Kieslinger, Spannungen und Entspannungen im Steinbruchgebiet, Berg und Hüttenmännische Monatshefte, 113, Heft 8 (1968).
[3] In der Steinbruchwand ist die die Breite des Monolithen limitierende Klüftung zu sehen. An der alten Oberfläche sind die Übergänge zur "Wollsackbildung" deutlich ausgeprägt. Der Kluftabstand beträgt etwa 3 - 4 m und entspricht der Kluftrichtung (= Spannungsrichtung im tieferen Granit) y1, y2, y3 der Abb. 4.
[4] In der Abb. 4 stellt die Fläche ABCD die theoretische alte Oberfläche des Plutons dar, die durch die parallel dazu verlaufenden Entspannungsflächen z1, z2, abgebildet wird. Diese z - Ebenen sind durch die gezielte Aktivierung ("Schacht-an-Schacht-Methode") die Trennflächen zwischen Obelisken und gewachsenem Granit. Im Fall der unvollendeten "Nadel der Hatschepsut" (Abb. 8) entspannte sich der Monolith unkontrolliert und vor der Lösung der z-Kluft, die noch tiefer liegen dürfte.
[5] Lageskizze des Obelisken: x1, x2, x3 sind etwa N - S verlaufend und weisen nur in diesem Bereich des Bruchs den Abstand von etwa 30 m auf (= max. Länge des Obelisks).
y1, y2, y3 sind nahezu senkrecht auf die x-Ebenen und im Abstand zwischen 3 - 5 m (s. Abb. 3) auftretend (=Breite des Obelisks).
z1, z2 und z3 sind die bereits aktivierten parallel zur ehemaligen Oberfläche verlaufenden Kluftebenen und gleichzeitig die Steinbruchniveaus I, II und III von RÖDER 1965. Die mögliche Aktivierungsebene z4 wurde jedoch nicht erreicht.
[6] Arbeitsschritte beim Schacht an Schacht Abbau:
A: Anreissen der Schachtanordnungen mittels Schnurvisierung
B + C: Fertigung der Schächte durch vertikale Dolerithammerschläge
D: Nach Erreichen der vorgesehenen Tiefe - Kontrolle durch Messlatten - werden die Schächte erweitert
E: Da alle Schächte gleich tief sind konzentriert sich die vorhandene Restspannung auf diese Ebene. Nach der gleichzeitigen Entfernung der Trennwände wird die Spannung durch Öffnung der Kluftfläche abgebaut
F: Anschließend erfolgt die Glättung der Monolithflächen
[7] In Abb. 8 ist rechts die bereits geglättete Wand des unvollendeten Obelisken zu erkennen; am Boden sind die rundlichen Spuren der Schachtköpfe sichtbar.

© Wolfgang Vetters
e-mail: wolfgang.vetters@sbg.ac.at

This article should be cited like this: W. Vetters, Die Gewinnung der Obelisken im alten Ägypten als Beispiel für Gedanken zu einer Kulturgeologie, Forum Archaeologiae 30/III/2004 (http://farch.net).



HOME