Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 26 / III / 2003

EIN MARMORRELIEF MIT DER DARSTELLUNG EINER SÄGE*

Im Rahmen von Aufräumarbeiten auf dem Ayasoluk in Selçuk, Türkei, wurde am 10.8.1995 die hier zu besprechende fragmentarisch erhaltene Marmortafel gefunden [1].



Marmortafel (Abb. 1a-b), Efes Müzesi Inv.-Nr. 35/1/01
Maße: erh. L=20,4cm; erh. H=20,5cm; Dicke: 6,5cm. Rekonstruierte Maße: ca. 25,0 x min. ca. 21,0 cm [2].
Weißer, grob kristalliner Marmor mit grober grauer Äderung
Erhaltung: Die linke und die untere Seite, sind - wenn auch bestoßen - zum Teil mit ihrer originalen Oberfläche erhalten; die rechte und die obere Seite sind völlig verbrochen. Auf der Ansichtsseite befinden sich Mörtelreste von einer sekundären Verwendung.
Beschreibung: Die dargestellte Säge wird von einer wenig eingetieften Rille mit V-förmigen Querschnitt umrahmt, damit das flache Relief besser hervortreten kann. Die Reliefoberfläche ist geglättet, der Reliefgrund fein gespitzt. Die Säge ist ein wenig schräg in das Bildfeld gesetzt. Die konstruktiven Einzelelemente sind deutlich dargestellt. Die Seitenholme sind geschwungen und schließen oben mit auswärts gedrehten Elementen ab; das Sägeblatt besitzt dreieckige, etwas unregelmäßig geschnittene Zähne, an der Spannkordel sind die einzelnen Drehungen gut zuerkennen.

Wie Darstellungen und erhaltene Sägeblätter, meist aus Eisen, belegen, wurden in der römischen Antike verschiedene Typen von Sägen verwendet: Stichsägen, Blattsägen und Rahmensägen. Die Gruppe der Rahmensägen unterteilt sich ihrerseits in Bügelsägen, Klobensägen und echte Rahmensägen [3]. Die auf der ephesischen Marmortafel dargestellte Säge gehört zum letzten Typus. Auf ihr sind die einzelnen Elemente der Säge so deutlich - wenn auch das Bild nicht vollständig erhalten ist - wie auf nur wenigen anderen Monumenten, beispielsweise auf einem Votivaltar in Rom (Abb. 2) [4], zu erkennen: hölzerner Rahmen mit einem Quersteg und stark geschwungenen Holmen, metallenes Sägeblatt mit dreieckigen Zähnen, Spannkordel und ein Spannbolzen, der auf unserem Stück nur im unteren Teil erhalten ist. Bei dieser Konstruktion wird das von den beiden Holmen gehaltene Sägeblatt durch die Zwirnung des Stricks gespannt; der Bolzen verhindert das Nachlassen der Spannung bzw. ermöglicht das Nachspannen.
Abseits von Weihe- und Stiftungsinschriften, Urkunden und anderen in Stein gehauenen Dokumenten [5] sind bisher auch etliche Aufschriften aus Ephesos bekannt, die in erster Linie im alltäglichen Leben Bedeutung hatten [6]. Sinn und Zweck dieser Inschriften sind unterschiedlich. Es handelt sich dabei um Hinweise aller Art, um Ge- und Verbotsaufschriften [7], Akklamationen [8] oder auch um spontan niedergeschriebene Mitteilungen anderer Natur, deren Inhalt der Schreiber mit einer größeren Öffentlichkeit teilen wollte. Die geschriebenen Äußerungen werden von im öffentlichen Raum angebrachten Zeichnungen und Reliefs verschiedenster Gestaltung und Ausführung bereichert und die Inhalte der Inschriften dadurch oft ergänzt, so daß das antike Straßenbild vielfältig und bunt gestaltet erschien [9].
Als ein Beispiel von vielen Äußerungen dieser Art im öffentlichen Raum sei hier auf das Geschäftsschild des Maurers Diogenes aus Pompeji verwiesen (Abb. 3): Die Tufftafel zeigt die für diesen Beruf notwendigen Werkzeuge, darüber hinaus den vielfach im öffentlichen Raum der Vesuvstadt belegten Phallus als Glückssymbol. Darüber hinaus macht die Inschrift DIOGENES STRUCTOR den Beruf und schließlich auch den Inhaber des Lokals dem Passanten deutlich [10].
Wie bereits oben beschrieben, stellt sich die Marmorplatte vom Ayasoluk, abgesehen von der dargestellten Säge, heute glatt dar. Wir dürfen aber davon ausgehen, daß sie ursprünglich farbig bemalt war. Die Farbgebung wurde - an welcher Stelle und zu welchem Zweck das Relief auch immer angebracht war - als zusätzlicher Blickfang verwendet [11].
Aus dem Relief selbst sind keine Anhaltspunkte für die ursprüngliche Anbringung zu gewinnen. Die vereinzelten Mörtelreste an der Oberfläche stammen mit großer Wahrscheinlichkeit von einer sekundären Verwendung, für die die reliefierte Oberfläche - vielleicht weil der Stein bereits gebrochen war - nicht von Bedeutung war. Auch die ursprüngliche Anbringungshöhe entzieht sich unserer Kenntnis und ebenso, ob unser Relief als Einzelstück oder in einer Gruppe Verwendung fand.
Fest steht hingegen, daß wir auf Grund der nur roh bearbeiteten Rückseite und der wenig geglätteten Seitenflächen - soweit sie erhalten sind - von Einansichtigkeit ausgehen dürfen. Deshalb ist nach einer eingebauten Verwendung zu suchen, bei der die abgebildete Säge auch aus gewisser Entfernung deutlich sichtbar wird (Abb. 4). Auf der unreliefierten Fläche unterhalb der Abbildung des Werkzeugs wäre, ähnlich wie bei dem Geschäftsschild des Maurers Diogenes aus Pompeji (Abb. 3), ausreichender Platz für eine erläuternde Beischrift.
Ohne weitere Funde und ohne das isolierte Stück überbewerten zu wollen, scheinen zwei in ähnliche Richtungen gehende Varianten für die Verwendung möglich [12]. Wie auch von W. Gaitzsch vorgeschlagen [13], könnte es sich bei unserer Marmortafel wie bei der pompeianischen Tufftafel des Maurers Diogenes (Abb. 3) um ein Geschäftsschild handeln, das in unserem Fall die Lage einer Tischlerwerkstätte angeben sollte; Vergleichbares ist auch aus Rom selbst und aus anderen Städten der Provinzen bekannt [14]. Aus Asia Minor allerdings wurden bisher steinerne Ladenschilder noch nicht bekannt.
Andererseits könnte das Relief auch als Hinweis auf den Versammlungsplatz der Vereinigung der Tischler, synergasia ton xylopriston, verstanden werden; dieser Berufsverband ist für Ephesos in einer Grabinschrift belegt [15]. Die Zunft der Tischler ist nur einer der aus Ephesos bekannten Berufsverbände. Etliche von ihnen hatten, wie Inschriften belegen, ihre Verkaufs- oder Versammlungslokale in der Stoa des Servilius, die mit großer Wahrscheinlichkeit vom Theatervorplatz nach Norden zum Stadion führte. In dieser Hallenstraße mieteten die Berufsverbände Räumlichkeiten im Ausmaß von einem Säulenjoch oder von mehreren Interkolumnien an [16].
Welche der beiden skizzierten Interpretationen für unsere Marmortafel vom Ayasoluk (Abb. 1. 4) das Richtige trifft, ein Ladenschild für ein Einzelgeschäft oder ein Hinweisschild auf die Versammlungsstätte der Zunft der Tischler, ist auf Grund der derzeitigen Isolation des Fundes nicht zu entscheiden. Dennoch bereichert die Darstellung der Säge nicht nur den antiquarischen Bestand abgebildeter Sägen, sondern wirft auf jeden Fall ein Schlaglicht auf das ephesische Straßenbild.

[*] Allen, die in den letzten Jahren Beobachtungen und Anmerkungen zu diesem Stück äußerten, sei an dieser Stelle herzlich gedankt; insbesondere allerdings H. Hellenkemper und W. Gaitzsch, die viel zu den hier vorgelegten Überlegungen beitrugen. Eine kürzere Besprechung des Reliefs auch bei M. Büyükkolanci - E. Trinkl, Eine Marmortafel mit der Darstellung einer Säge vom Ayasoluk (TR), Instrumentum 16, 2002, 19-21.
[1] Da die Marmortafel bei Aufräumarbeiten zutage kam, können keine relevanten Aussagen zum Kontext oder zur Datierung getroffen werden.
[2] Bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Größe des Steins gehen wir davon aus, daß nur die Säge dargestellt war und kein weiterer Gegenstand rechts davon oder darüber anschloß. Die abgebildete Säge könnte sich natürlich auch in der linken unteren Ecke eines großen Reliefs, das beispielsweise einem sepulkralen Kontext entstammt, befunden haben.
[3] D. Strong - D. Brown (Hrsg.), Roman Crafts (1976) 156ff.; W. Gaitzsch, Eiserne römische Werkzeuge. Studien zur römischen Werkzeugkunde in Italien und den nördlichen Provinzen des Imperium Romanum, BAR 78 (1980) 181ff.; W. Gaitzsch, Werkzeuge und Geräte in der römischen Kaiserzeit. Eine Übersicht, ANRW II 12, 3 (1985) 170-204, zur Holzbearbeitung bes. 181ff. 193 Abb. 4.
[4] Augustäischer Votivaltar eines collegium fabrum, Rom: W. Gaitzsch - H. Matthäus, Schreinerwerkzeuge aus dem Kastell Altstadt bei Miltenberg, AntW 12/3, 1981, 21-30, bes. Abb. 5; G. Zimmer, Römische Berufsdarstellungen, AF 12 (1982) 162f. Nr. 84; J.-L. Girard, ANRW II 17, 2 (1981) Taf. III 2c. - Zu Darstellungen auf spätrepublikanischen Silberdenaren s. W. Gaitzsch, Die Entwicklung der Säge, Schweizer Baublatt 90 (1984) 41-48, bes. 43 Abb. 9.
[5] Die bis 1984 bekannt gewordenen Inschriften sind editiert in "Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 11-17 (1979-1984). Ergänzungen und Neufunde werden in ÖJh besprochen.
[6] Dazu sind auch die Graffiti aus den Hanghäusern zu zählen, die einem privaten oder nur beschränkt öffentlichen Bereich entstammen, H. Taeuber, Graffiti als Hilfsmittel zur Datierung der Wandmalereien in Hanghaus 2, in: F. Krinzinger (Hrsg.), Das Hanghaus 2 von Ephesos. Studien zu Baugeschichte und Chronologie, Archäologische Forschungen 7, DpH 302 (2002) 93-99.
[7] Allgemein zu Verbotsaufschriften gegen Verunreinigungen vgl. G. E. Thüry, Müll und Marmorsäulen. Siedlungshygiene in der römischen Stadt, AntW Sonderband (2001) bes.13ff. Zu Verbotsinschriften aus Ephesos vgl. E. Trinkl, Ein Zeusrelief aus Ephesos. Die Unterbindung großstädtischer Unsitten, in: P. Scherrer - H. Taeuber - H. Thür (Hrsg.), Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe, SoSchrÖAI 32 (1999) 173-180.
[8] Zur Einführung in diese Inschriftengruppe vgl. Ch. Roueché, Acclamation in the Later Roman Empire: New Evidence from Aphrodisias, JRS 74, 1984, 181-199. Zu ephesischen Beispielen s. dies., Enter Your City! A New Acclamation from Ephesos, in: Scherrer - Taeuber - Thür a. O. 131-136.
[9] Kein Sujet wurde dabei ausgespart: B. Kellum, The Spectacle of the Street, in: B. Bergmann - Ch. Kondoleon (Hrsg.), The Art of Ancient Spectacle (1999) 291: "nothing was sacrosanct"; M. Langner, Antike Graffiti-Zeichnungen. Motive, Gestaltung und Bedeutung, Palilia 11 (2001).
[10] A. Ciarallo - E. De Carolis (Hrsg.), Pompeii. Life in a Roman Town (1999) 311 Abb. 392. - R. Ling, Street Plaques at Pompeii, in: M. Henig (Hrsg.), Architecture and Architectural Sculpture in the Roman Empire (1990) 51-66; zum Ladenschild des Diogenes ebenda 61 Abb. 4, 16. - Zu Darstellungen des Phallos und zum Schutz des Hauses durch Priapos s. P. Kastenmeier, Priap zum Gruße. Der Hauseingang des casa dei Vetti in Pompeji, RM 108, 2001, 301-311.
[11] Wir gehen bei dieser Argumentation von einer öffentlichen Präsentation aus, da uns die Verwendung im Privatbereich wenig sinnvoll erscheint.
[12] Auch an die Verwendung der Platte im Rahmen eines Grabmonumentes kann gedacht werden; allerdings spielen Berufsbilder im römischen Kleinasien eine stark untergeordnete Rolle. Lediglich einige Schmiede lassen ihre Grabsteine entsprechend gestalten; Pfuhl-Möbius I 44. II 287f. - Auch auf den Türgrabsteinen, deren Gattung in Ionien nicht verbreitet ist, sind keine Verstorbenen als Tischler zu erkennen; M. Waelkens, Die kleinasiatischen Türsteine (1986).
[13] Brief 7. 8. 1996. - Im Bild wird meist die Dechsel, ascia, in Kombination mit anderen Werkzeugen, als charakteristisch für Tischler bzw. für andere Berufssparten, die mit Holz arbeiten, verwendet; Zimmer a.O. 31ff. 149.
[14] Auf Grund der Fundumstände bieten naturgemäß die Vesuvstädte die reichhaltigste Palette für solche Schilder; Kellum a.O.; Ling a.O.
[15] IvE 2115. - Ein Überblick zu Handelsbeziehungen und Berufsvereinigungen Kleinasiens bei M. Sartre, L'orient romain (1991) 303ff.
[16] D. Knibbe, Der Asiarch M. Fulvius Publicianus Nikephoros, die ephesischen Handwerkszünfte und die Stoa des Servilius, ÖJh 56, 1985, 71-77. - Einige von ihnen und andere Berufsvereinigungen, die wir im Zusammenhang mit der Stoa des Servilius bisher nicht kennen, werden auch auf den Säulen der Latrine des nördlich des Stadions gelegenen Vediusgymnasiums genannt; IvE 454; M. Steskal - M. La Torre, Das Vediusgymnasium in Ephesos, ÖJh 70, 2000, 221-244; zum Vediusgymnaium s. http://www.oeai.at/ausland/vedius.html.

© Mustafa Büyükkolanci, Elisabeth Trinkl
e-mail: mbuyukkolanci@posta.pamukkale.edu.tr
elisabeth.trinkl@univie.ac.at

This article will be quoted by M. Büyükkolanci - E. Trinkl, Ein Marmorrelief mit der Darstellung einer Säge, Forum Archaeologiae 26/III/2003 (http://farch.net).



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