Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 18 / III / 2001

HELLENISTISCHE KERAMIK AUS EPHESOS: FUNDE DER TETRAGONOS AGORA.
Zu Fragen der Chronologie
[1]

Ging es in den bisherigen ephesischen Forschungen hauptsächlich um die Materialvorlage und das Formen- bzw. Dekorspektrum der einzelnen hellenistischen Gattungen [2], so soll in Zukunft besonderes Augenmerk auf die Erarbeitung der regionalen Chronologie gelegt werden [3]. Die einzig möglichen Ausgangspunkte dazu sind datierbare, geschlossene Fundkomplexe einer Region oder eines Ortes, die zueinander in Relation gebracht werden. Einer dieser Ausgangspunkte in Ephesos kann die Grabung auf der Tetragonos Agora sein [4].


Abb. 1: Tetragonos Agora in Ephesos. Übersichtsplan der hellenistischen Verbauung
(nach P. Scherrer, ÖJh 62, 1993 Grabungen, 13 Abb. 2)

Die Tetragonos Agora (Abb. 1) war der Handelsmarkt von Ephesos. Bereits 1901 begannen Grabungen auf der Agora. Freigelegt wurden bis 1911 das West-, das Süd- und das Nordtor, die Südhalle und die Innenhallen im Norden und Osten (Abb. 2). Die Ergebnisse dieser ersten Grabungen liegen im Band FiE III (1923) vor [5]. Im Jahre 1977 setzten neuerlich Grabungen auf der Agora ein, die unter der Leitung von G. Langmann standen [6]. Hauptziel war die Untersuchung der vorhellenistischen Verbauung der Agora. Im südöstlichen Teil wurden Steinkisten- und Ziegelplattengräber aufgedeckt. Die östlich der Westhalle der römischen Agora ergrabenen Siedlungsreste identifizierte Langmann mit dem bei Strabo genannten Dorf Smyrna [7]. 1987 stieß P. Scherrer zum Grabungsteam und leitet seit 1993 die Grabungen auf der Agora. Seitdem wird im Agora-Bereich neben der archaischen Siedlung besonders die hellenistisch-römische Bebauung der Stadt untersucht [8].


Abb. 2: Überblick über die Tetragonos Agora in Ephesos vom Panayir Dag
(nach W. Wilberg, FiE III (1923) 1 Abb. oben [= Platte ÖAI 369])

Neben den Architekturresten aus der Zeit vom Ende des 8. bis in das 4. Jh. v. Chr. (Häuser, becken- bzw. speicherartige Anlagen, Brunnen) sind für uns die Mauern hellenistischer Hallenbauten (Abb. 1) mit den dazugehörigen Befunden von größtem Interesse [9].
Sicher ist, daß zur Errichtung dieser hellenistischen Bauten eine Geländeplanierung vorgenommen wurde (Lysimachische Zerstörung bzw. Lysimachische Agora [10]). Im südlicheren Teil wurde eine Kammeranlage (eine Art Magazinbau mit zwei Reihen von Kammern, Lysimachische Kammeranlage) errichtet, aus welcher später die Südhalle entstand (WSS, WeststoaSüd). Im Norden schließt eine weitere Halle an (WSN, WeststoaNord). Diese Hallen werden durch eine breite Straße voneinander getrennt. Das Niveau dieser Straße wurde im Laufe der Zeit des öfteren erhöht (Straßen VI-I). Zu beachten ist dabei die Anlage eines Entwässerungskanals (Störgraben) auf der Straße sowie dessen Auffüllung und Abdeckung durch ein Straßenniveau (Straße III, s. Abb. 3). Von Bedeutung sind für uns also die Bauphasen der Hallen und die sie trennende Straße, die wichtige Zeitansätze bieten können. Im Zuge eines größeren Umbaues kommt es zur Entfernung und Versetzung der Nordmauer der Südhalle und zu einem Zusammenschluß der Hallenfronten. Hinweise darauf geben uns die unter den Bezeichnungen 'Quaderlage' bzw. 'Plattenfundament' laufenden Befunde (Abb. 3). Eine völlige Änderung tritt dann erst mit der Errichtung der weit größeren Römischen Agora und ihrer Hallen ein. Dabei werden die Quader der hellenistischen Hallen teilweise entfernt bzw. "geraubt" (Raubgruben). Diese werden dann sicherlich mit dem ersten römischen Boden geschlossen (Römische Agora). Durch Grabungen in den römischen Hallen gelten eine Wiedererrichtung der Agorahallen unter Kaiser Theodosius am Ende des 4. Jhs. n. Chr. und die Nutzung dieses Platzes als Agora mindestens bis in das 7. Jh. n. Chr. als gesichert.


Abb. 3: Tetragonos Agora in Ephesos. Sondage 1993, Straßenniveaus
(Photo: ÖAI)


In Zusammenarbeit mit Amphoren- und Lampenspezialisten (M. Lawall, T. Bezeczky, A. Giuliani) wird die Fein- und Grobkeramik der einzelnen Bau- bzw. Umbauphasen sowie der Straßenniveaus aufgenommen [11]. Das konkrete Ziel ist eine Publikation, welche folgendes enthalten soll [12]:
  • Beschreibung der Straten / Phasen / ausgewählter Befunde und der damit verbundenen Keramikdeposits; dies beinhaltet einen relativen Rahmen für die einzelnen innerhalb des Grabungsareals gesetzten Aktivitäten;

  • Vorlage der Belege für eine relative und absolute Chronologie der Aktivitäten vor Ort (Amphorenstempel, Amphoren, Lampen, Münzen, Auftreten bestimmter Keramikgattungen);

  • Vorlage und Beschreibung des Keramikmaterials der einzelnen Befundgruppen;

  • Auswertung des Materials und, wenn möglich, eine Interpretation des Fundortes und des Fundmaterials.

  • Derzeit gibt es vorläufige Ergebnisse zum Beginn der die hellenistischen Hallen betreffenden Bauaktivitäten (ca. 260/250 v. Chr.) sowie zur Chronologie einiger Straßenniveaus und damit zum Auftreten einzelner Keramikgattungen (Keramik mit Dekor im Westabhangstil [Abb. 4], importierte Reliefbecher, lokale Reliefbecher [Abb. 5], Lampen vom Typ Ephesos, weißgrundige Lagynoi, ESA) bzw. einzelner Gefäßformen der einfachen Firnisware (z.B. Knickwandschalen, Teller mit breitem Rand, Teller mit gedrechseltem Rand, Unguentarien).


    Abb. 4: Tetragonos Agora in Ephesos. Westabhangkeramik aus dem Störgraben (Photo: Ch. Rogl, Inv.-Nr. AG 91/48-20)

    Abb. 5: Reliefbecher des ephesischen PAR-Monogramm-Ateliers (Photo: Ch. Rogl, Inv.-Nr. MAG 80/1-107)

    Das bedeutet im Hinblick auf die zu erwartenden Ergebnisse folgendes: Wir werden im Laufe des Projektes in der Lage sein zu beantworten, wann auch in Ephesos bestimmte hellenistische Keramikgattungen bzw. bestimmte Gefäßformen dieser Gattungen auftreten. Unter Umständen können wir vielleicht auch die jeweiligen Produktionsdaten festlegen. Es wird jedoch nicht möglich sein, die Formveränderung bzw. Formentwicklung einer Vielzahl von Gefäßformen im Detail nachzuzeichnen. Dazu wird es weiterer Forschungen bedürfen.

    [1] Dieser Beitrag basiert auf einem am 10.1.2001 im Rahmen des "Arbeitskreises Keramik" gehaltenen Vortrag am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien. Er stellte die Aktivitäten vor, die innerhalb eines FWF-Projektes (Nr. 13233-SPR) zur Bearbeitung der hellenistischen Keramik der Tetragonos-Agora sowie weiterer hellenistischer Fundkomplexe in Ephesos gesetzt werden.
    [2] Vgl. z.B. V. Mitsopoulos-Leon, Die Basilika am Staatsmarkt in Ephesos. Kleinfunde. 1. Teil: Keramik hellenistischer und römischer Zeit, FiE IX 2/2 (1991); V. Gassner, Das Südtor der Tetragonos-Agora. Keramik und Kleinfunde, FiE XIII 1/1 (1997). Einen allgemeinen Überblick zu weiteren entsprechenden Arbeiten bietet V. Mitsopoulos-Leon, Zur Erforschung hellenistischer und kaiserzeitlicher Keramik in Ephesos, Rei Cretariae Romanae Fautorum Acta 36 (2000) 83-90.
    [3] Ebenso wird die genaue Definition der lokalen Werkstätten und deren Repertoire eine zentrale Rolle spielen. Vgl. die stempelgetreue Aufnahme der Reliefbecher-Funde (auch Model) vom Magnesischen Tor in Ephesos.
    [4] Weitere gute Befunde aus hellenistischer Zeit sind von den Grabungen von S. Ladstätter im Hanghaus 2 von Ephesos zu erwarten.
    [5] Zu den Arbeiten im Detail vgl. R. Heberdey, ÖJh 5, 1902, Beibl. 62; ders., ÖJh 7, 1904, Beibl. 45-47; ders., ÖJh 10, 1907, Beibl. 66; ders., ÖJh 15, 1913, Beibl. 162 f.; FiE III (1923) 1-90 (W. Wilberg). Bemerkenswert dabei sind vor allem die Inschriften (ebd. 91-168 von J. Keil) und die Rekonstruktionen der Architektur durch G. Niemann und W. Wilberg.
    [6] G. Langmann, ÖJh 61, 1991/92, Grabungen 5 f.
    [7] Strabo 14, 1, 4.
    [8] G. Langmann - P. Scherrer, ÖJh 62, 1993, Grabungen 12-14; P. Scherrer, ÖJh 63, 1994, Grabungen 11-14; ders., ÖJh 65, 1996, Grabungen 7-12; ders., ÖJh 66, 1997, Grabungen 4-6; ders., ÖJh 67, 1998, Grabungen 7-10; ders., ÖJh 68, 1999, Grabungen 13-16; s. auch P. Scherrer, Bemerkungen zur Siedlungsgeschichte von Ephesos vor Lysimachos, in: H. Friesinger - F. Krinzinger (Hrsg.), Akten des Symposions 100 Jahre Österreichische Forschungen in Ephesos (1999) 379.
    [9] Ein neuer Grundrißplan zur ergrabenen hellenistischen Bebauung wird von P. Scherrer, The historical topography of Ephesos, in: D. Parrish (Hrsg.), Urbanism in Roman Asia Minor. The current status of research, JRA Suppl. 43 (im Druck) veröffentlicht werden.
    [10] Befundnamen in Folge kursiv geschrieben.
    [11] Ihnen sei an dieser Stelle für die Zusammenarbeit herzlich gedankt.
    [12] Vorbildlich sind z.B. die betreffenden Artikel des letzten Studia Troica-Bandes: A. M. Berlin, Studies in Hellenistic Ilion: the lower city. Stratified assemblages and chronology, Studia Troica 9, 1999, 73-157; M.L. Lawall, Studies in Hellenistic Ilion: transport amphoras from the lower city, ebd. 159-224.

    © Christine Rogl


    This article will be quoted by Ch. Rogl, Hellenistische Keramik aus Ephesos: Funde der Tetragonos-Agora. Zu Fragen der Chronologie, Forum Archaeologiae 18/III/2001 (http://farch.net).



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