Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

EIN FRAGMENT RELIEFVERZIERTER AFRICAN RED SLIP WARE MIT HERAKLES-DARSTELLUNG AUS EPHESOS

Im Zuge der Aufnahme der Befunde der Grabungen im Stadion von Ephesos wurde 1997 ein Fragment afrikanischer Reliefsigillata entdeckt. Es befand sich unter den Funden eines Horizontes in der spätantiken Schuttauffüllung der Lauffläche [1], zu dessen Keramikspektrum Fragmente von weiteren Tellern und Schalen der African Red Slip Ware [2] gehören, die sich den Formen 45 A, 50, 51, 52, 58 und 59 zuordnen lassen. Weiters befanden sich in diesem Teil der Aufschüttung Schalen der LRC-Form 1A und reliefverzierte pergamenische Oinophorenware [3]. Um die Darstellung lesbar zu machen, mußte das Fragment von dem dichten weiß-grauen Sinterüberzug befreit werden, welcher häufig die Keramikfragmente aus dem Stadion bedeckt [4]. Das Stück ist jetzt unter der Nummer SD 32/93-ST-12 im Depot des Österreichischen Grabungshauses in Selçuk inventarisiert.
Das seltene Auftreten von afrikanischer Reliefsigillata und die besondere Darstellung lassen eine dem Grabungsbefund vorgezogene kurze Präsentation des Stückes angemessen erscheinen.
Die Textur des Scherbens ist ziemlich fein und leicht körnig mit weißen Einschlüssen und glattem Bruch. Die klare hellrote Farbe des matten Überzuges, der innenseitig gut erhalten ist und außenseitig auf dem Boden nur die Spuren herabgelaufener Tropfen hinterlassen hat, hat ebenso wie die Farbe im Bruch den Wert 10 R 5/6-5/8 nach der Munsell-Farbkarte. Nach diesen Kennzeichen läßt sich unser Fragment der Produktion C3 zuordnen [5]. Das Profil des Fragmentes entspricht einem flachen Teller der Form 53 A nach der Klassifikation von Hayes, der seine Datierung in die Jahre 350 bis 430 n. Chr. vor allem anhand von Grabungskontexte erarbeitete [6].


Abb. 1: Fragment reliefverzierter African Red Slip Ware mit Heraklesdarstellung, Inv.Nr. SD 32/93-ST-12 (Photo Verf.)
Das mehrfach gebrochene Stück zeigt - um den Bodenmittelpunkt der Schale angeordnet - den unbekleideten Herakles mit nach rechts gedrehtem Oberkörper und von Anstrengung gespannten Bauchmuskeln wie er einen Stier bei den Hörnern packt. Rechts davon steht ein Baum mit abgebrochenen Stümpfen, in dessen Geäst das abgelegte Löwenfell des Helden hängt. Zwischen diesen beiden Darstellungselementen ist noch der obere Teil der Keule zu sehen, welche auf einem Baumstumpf oder einzeln dargestellt zu denken ist (Abb. 1). Die beiden Rillen um den Bodenmittelpunkt sind ein technisches Detail der Tellerform, deren Durchmesser bei den ganz erhaltenen Beispielen zwischen 16 und 21 cm liegen [7]. Für das vorliegende Fragment, zu dem kein Rand erhalten ist, ist ein Durchmesser von zumindest 19 cm anzunehmen, wenn die Beine der Heraklesapplike Platz finden sollten.

Das Fragment gehört in die Reihe der Darstellungen von Taten des Herakles auf Tellern der ARS-Form 53 A [8], auf denen in den afrikanischen Werkstätten vermutlich die ganze Bilderreihe des Dodekathlos in großen Appliken produziert wurde.
Besonders am Rand des Baumes und an der scharfen Kante des Stierrückens sind deutlich die Ränder der aus einer Matrize geformten und aufgesetzten Appliken zu erkennen. Die weich verschliffenen Konturen an den Körpern von Herakles und Stier weisen auf eine gewisse Abnützung der Matrize hin. Solche Appliken müssen in einem Stadium der Trocknung, die noch ein Biegen und Anpassen des plastischen Tones an die Rundung im Teller erlaubte, aus der Matrize gestürzt und mit Tonschlicker in das Gefäß geklebt worden sein. Das Erkennen des richtigen Trocknungsgrades von Matrize und Gefäß setzte sicher große Erfahrung beim Handwerker voraus. Spalten und aufgeplatzte Risse zwischen Teller und Applike oder in der Applike selbst - wie bei unserem Fragment über und unter der Schulter des Herakles - konnten infolge der Spannungen beim Schrumpfungsprozeß während der Trocknung schnell auftreten [9]. Das Anbringen großflächiger Darstellungen, wie der Einzelapplike mit dem Kampf zwischen Herakles und Ares um den Leichnam des Kyknos, muß ganz besonders schwierig gewesen sein [10].
Als Bildinterpretation unseres Fragmentes könnte man zunächst den Fang des kretischen Stieres oder der Rinderherden des Geryoneus in Betracht ziehen, da jedoch bei der Darstellung letzterer Tat mehrere Tiere abgebildet werden [11] und auf unserem Tellerfragment wohl nur ein Rind ziemlich flächenfüllend dargestellt gewesen sein kann, ist die Darstellung mit dem Fang des kretischen Stiers zu identifizieren.
Dieses Motiv [12] ist ab dem 6. Jh. v. Chr. in der schwarzfigurigen Vasenmalerei belegt, wobei der Held mit Schwert oder Keule frontal gegen den Stier kämpft oder mit ihm ringt. Eine neue spannungsgeladene Darstellung führt die diagonale Komposition der Kampfgruppe auf der Metope des Zeustempels von Olympia ein [13]. Mit unserer Darstellung am besten zu vergleichen sind Darstellungen des "Mitlauf"-Typus [14]: Herakles läuft neben dem Stier her und faßt eines seiner Hörner. Diese Art der Darstellung tritt ab frühklassischer Zeit bei Darstellungen des Theseus mit dem marathonischen Stier entgegen und wurde ab dieser Zeit für den attischen Nationalhelden und für Herakles mit dem kretischen Stier verwendet [15]. Beide Helden waren freilich durch die Darstellung der ihnen eigenen Physiognomie und Attribute gekennzeichnet [16].
Als Vergleichsbeispiele bieten sich besonders die zahlreichen Abbildungen der Heraklestaten auf römischen Sarkophagen an. Nach einer Angabe Strabons [17] hat Lysipp für ein Heiligtum in Alyzia eine Gruppe von die Taten des Herakles zeigenden Statuen geschaffen, die aber schon vor Starbons Zeit aus dem bereits verlassenen Heiligtum nach Rom verbracht worden war. Die römischen Sarkophage mit Darstellungen der Taten des Herakles sind ein Widerhall des Werkes und auf ihnen beruhen alle Versuche einer ikonographischen Rekonstruktion dieser lysippischen Gruppe [18].
Beim Fang des kretischen Stiers unterscheidet P.F.B. Jongste drei Darstellungsvarianten: Auf die lysippische Gruppe zurückgehen könnte die meist frontale Darstellung, bei der Herakles mit der einen Hand die Nüstern des Tieres und mit der anderen ein Horn ergreift. Eine andere Variante zeigt Herakles, der auf dem Rücken des Stieres kniend diesen zu Boden zwingt [19].
Vergleichsbeispiele für den unserer afrikanischen Applike entsprechenden "Mitlauf"-Typus [20], die ins 2. Jh. n. Chr. datiert werden, befinden sich auf der Rückseite des Sarkophages von Velletri im oberen Register [21], auf einem Sarkophag in den Uffizien in Florenz [22], sowie auf der Längsseite eines Sarkophagdeckels im British Museum in London [23].
In der Keramik römischer Zeit des 2. und 3. Jhs. n. Chr. finden sich auf korinthischen Reliefbechern ebenfalls Darstellungen des Dodekathlos [24]. Die den Fang des kretischen Stieres darstellende Szene ist auf einem in Brüssel aufbewahrten Reliefbecher erhalten [25].
Die Bildidee zu unserer eher statisch wirkenden Applikendarstellung des Kraft- und Tatmenschen Herakles, die kaum noch etwas von der Dramatik des Kampfes mit dem Stier bewahrt hat, läßt sich also letztendlich von geläufigen dreidimensionalen Darstellungen ableiten, wiewohl die unmittelbaren Vorbilder für die Keramikteller aus Bronze oder Silber gewesen sein können.
Von Bedeutung ist unser Stück aber vor allem durch seinen Fundzusammenhang in einem Kontext, den ich vorläufig am Ende des 4. Jhs. n. Chr. oder allenfalls am Beginn des 5. Jhs. einordnen möchte [26].

[1] St. Karwiese, ÖJh 63, 1994, Grab. 21 f.; ders., ÖJh 64, 1995, Grab. 22 ff.; ders., ÖJh 65, 1996, Grab. 18 ff.; ders., ÖJh 66, 1997, Grab. 19 ff.; ders., ÖJh 67, 1998, Grab. 20. In den westlich der Aphesis zur Untersuchung der Lauffläche geöffneten drei Sektoren ließen sich zwei münzdatierte Schichten unterscheiden, die stratigrafisch durch einen Brandhorizont getrennt sind. Die obere gehört in die 1. H. des 7. Jhs. n. Chr., die Einschüttung der unteren Schicht muß um die Mitte des 5. Jhs. erfolgt sein. Im Fundmaterial dieser um die Mitte des 5. Jhs. erfolgten unteren Einschüttung im Sektor 1./2. gibt es einen Horizont, dessen Keramik an das Ende des 4. Jhs.-Beginn des 5. Jhs. zu datieren ist. Es dürfte sich um umgelagerten Schutt handeln, der hier bei der Aufschüttung der Lauffläche abgelagert wurde. Die Erstaufnahme der Keramik aus den Grabungen 1993 und 1994 im Stadion wurde von der Verf. im Auftrag des Projektleiters Stefan Karwiese durchgeführt. Die endgültige Aufarbeitung der archäologischen Befunde und der Keramik steht noch aus.
[2] Zur African Red Slip Ware: W.J. Hayes, Late Roman Pottery (London 1972) 13-299; W.J. Hayes, Handbook of Mediterranean Roman Pottery (London 1997) 59-64. African Red Slip Ware in Ephesos: V. Mitsopoulos-Leon, FiE II/2 (1991) 140 f.; C. Lang-Auinger - U. Outschar, Aspekte zur Chronologie, in: FiE VIII/3 (1996) 56; V. Gassner, FiE XIII/1/1 (1998) 148 ff.; S. Ladstätter, Eine African Red Slip-Schale mit Reliefverzierung aus Ephesos, ÖJh 67, 1998, Beibl. 198-214.
[3] St. Karwiese, ÖJh 67, 1998, Grab. 41 und Abb. 33; allgemein zu "Oinophoren": U. Mandel, Kleinasiatische Reliefkeramik der mittleren Kaiserzeit. Die "Oinophorengruppe" und Verwandtes, PF V (1988).
[4] Die restauratorische Reinigung besorgte Edith Trnka.
[5] Atlante delle forme ceramiche I, EAA Suppl. (1981) 159 f.
[6] Hayes a.O. (1972) 82.
[7] Hayes a.O. (1972) 79-80; J.W. Hayes, Supplement to Late Roman Pottery (London 1980) 496-497.
[8] P. Paris - G. Bonsor - A. Laumonier, Fouilles de Belo II (Bordeaux-Paris 1926) 165-166 Taf. XXX; J.W. Salomonson, Spätrömische rote Tonware mit Reliefverzierung aus nordafrikanischen Werkstätten. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur reliefgeschmückten Sigillata Chiara "C", BABesch 44, 1969, 33 f. Abb. 40-42; 109 Nr. 19 f.; 108 Nr. 2; Spätantike und frühes Christentum, Katalog zur Ausstellung im Liebighaus (Frankfurt/Main 1983) 580-582 Nr. 178 (D. Stutzinger); 582 Nr. 179 (M. Weber); J. Garbsch in: J. Garbsch - B. Overbeck, Spätantike zwischen Heidentum und Christentum, Katalog Prähistorische Staatssammlung 17 (München 1989) 175 ff. Nr. 207-210 auf ARS 53 A, auf anderen Tellerformen Nr. 211-218; M. Armstrong, The Köln Römisch-Germanisches Museum study collection of African red slip ware, KölnJbVFrühGesch 24, 1991, 424-425 Abb. 18-23; F. Filippi, Una coppa di sigillata africana figurata con il mito di Eracle e Kyknos da una tomba tardoromana di Alba Pompeia, QuadAPiem 13, 1995, 59-72 mit Taf. XII-XIII.
[9] Zur Technik der Applikenherstellung vermutlich aus Gipsmatrizen: M. Mackensen, Die spätantiken Sigillata-und Lampentöpfereien von El Mahrine (Nordtunesien), Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 50, 1993, 84 ff.
[10] vgl. Filippi a.O. 60 f.
[11] Katalog München a.O. (Anm. 8) 177 Nr. 215.
[12] LIMC V 1 (1990) s.v. Heracles and the Cretan Bull (L. Todisco).
[13] B. Ashmole, Olympia. The Sculptures of the Temple of Zeus (London 1967) 26 Abb. 162.
[14] U. Hausmann, Hellenistische Reliefbecher aus attischen und böotischen Werkstätten. Untersuchungen zur Zeitstellung und Bildüberlieferung (Stuttgart 1959) 73.
[15] Hausmann a.O. 73 ff.
[16] B.B. Shefton, Herakles und Theseus on a red-figured louterion, Hesperia 31, 1962, 330-368 bes. 344 ff.
[17] Strab. X 459.
[18] P. Moreno, Iconografia Lisippea delle Imprese di Eracle, MEFRA 96, 1984, 117-174; P. Moreno, Vita e Opere di Lisippo, in: J. Chamay - J.-L. Maier (Hrsg.), Lysippe et son influence, Hellas et Roma V (Genf 1987) bes. 48 ff.
[19] P.F.B. Jongste, The Twelve Labours of Hercules on Roman Sarkophagi, Studia Archaeologica (Rom 1992) 19: 8A: Herakles greift nach Nüstern und Horn, 8C: Herakles auf dem Rücken des Stieres kniend.
[20] Jongste a.O. Variante 8B.
[21] Jongste a.O. 41 Abb. 3; 39 mit Literaturangaben.
[22] Jongste a.O. 44 Abb. 6; 42 mit Literaturangaben.
[23] S. Walker, Catalogue of Roman Sarkophagi in the British Museum, CSIR Great Britain II 2, 22 f. Taf. 6. 15a.
[24] S. Tortorici, Ceramica Corinzia decorata a matrice, in: Atlante delle Forme Ceramiche I, Suppl. EAA (1981) 255; D.C. Spitzer, Roman Relief Bowls from Corinth, Hesperia 11, 1942, 162 ff.
[25] L. Todisco, Una coppa a relievo con imprese di Eracle da Isthmia, AnnBari 21, 1978, 52. 58 Abb. 4; CVA Brüssel (3) III N Taf. I 2d.
[26] Vgl. Anm. 1; die Herstellung reliefverzierter African Red Slip Ware dürfte noch bis in die 2. Hälfte des 5. Jhs. fortgeführt worden sein: Mackensen a.O. (Anm. 9) 305 mit Anm. 232.

© Petra Turnovsky, Wien
e-mail:
p.beatrice.turnovsky@chello.at

This article will be quoted by P. Turnovsky, Ein Fragment reliefverzierter African Red Slip Ware mit Herakles-Darstellung aus Ephesos, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



HOME