Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

WEINLESE AN DEN RÄNDERN DES RÖMISCHEN REICHES

Im Museum von Palmyra befinden sich drei Textilfragmente, die von ein und demselben Gewebe stammen und die eine Weinernte darstellen (Abb. 1) [1]. Die Fragmente wurden 1992 vom Verfasser im Turmgrab Nr. 65 in der Westnekropole von Palmyra gefunden, im selben Jahr, in dem er die persönliche Bekanntschaft mit dem Jubilar machen durfte.

Abb. 1: Textilfragmente aus dem Turmgrab Nr. 65 in der Westnekropole von Palmyra, Inv.Nr. PAM 65.1.1-3

Das polychrome Gewebe aus Palmyra zeigt gelbe Figuren auf blauem Grund. Am rechten Rand ist eine rote Webekante mit gelbem Streifen erhalten. Nach der Faseranalyse handelt es sich bei dem Material um "echte Seide", sog. Maulbeerseide, die von der Raupe des chinesischen Seidenspinners bombyx mori als Endlos-Faden produziert wird.
Auch Gewebeaufbau und weitere technische Daten lassen erkennen, daß es sich um Seide in Kettkompositbindung mit Farbwechsel im Schuß handelt. Damit gehört das Gewebe zu einer sehr kleinen Gruppe Han-zeitlicher chinesischer Seidengewebe [2], die in Palmyra sonst nur noch in zwei weiteren Beispielen belegt ist, und die dem 1. Jahrhundert n. Chr. zuzuordnen sind [3]. Diese Gewebe, die hinsichtlich ihrer Fertigungstechnik zu den aufwendigsten Geweben ihrer Zeit überhaupt gehören, nehmen nur einen minimen, aber umso bedeutenderen Platz innerhalb der zahlreichen Han-zeitlichen chinesischen Seidenfunde aus Palmyra ein. Die Besonderheit der Gewebe besteht darin, daß die Musterung mit mehreren Ketten auf technisch höchst aufwendige und arbeitsintensive Weise auf einem bisher nicht genau identifizierten Webstuhl hergestellt ist [4]. Die Kettfäden sind vor dem Verweben eingefärbt und anschließend nach einem festgelegten Schema in den komplizierten Aushebmechanismus des Webstuhls eingefädelt [5]. Auch beim Eintragen des Schusses müssen die Fäden in langwierigen Arbeitsschritten gruppenweise bewegt werden. Zum Weben waren daher mindestens ein Weber und ein Gehilfe notwendig. Die Schüsse, die in das Gewebe eingetragen sind, verschwinden nahezu ganz zwischen den Kettfäden, was ermöglicht, daß mitten im Muster die Farbe des Schusses gewechselt werden kann.
An der Webekante rechts ist der Rest eines dicken braunen Wollzwirns erhalten. Er ist ein Indiz dafür, daß derartige chinesische Seiden zumindest in Palmyra nicht zu ganzen Gewändern verarbeitet waren, sondern wohl als Schmuckstreifen bzw. als Besatz (etwa an einem Wollgewand) Verwendung fanden, wie auch andere Seidenfragmente aus Palmyra bestätigen [6].

Das klar lesbare Muster erscheint in Kettrichtung: gelb mit roten Konturen auf blauem Grund, wobei die Konturen stark ausgeblichen und kaum mehr zu erkennen sind. In langen, horizontal angelegten Streifenrapporten von ca. 4,5 cm Höhe sind Männer bei der Traubenernte und Vierbeiner (Kamele und Feliden im Wechsel) unter Weinranken zu sehen (Abb. 2). Das Thema der Darstellung ist sicher nicht chinesischen Ursprungs, sondern auf eine Ideen- und/oder Mustervorlage aus dem mediterranen Westen zurückzuführen [7]. Andererseits ist das Gewebe selbst aus Maulbeerseide und in klassisch chinesischer Kettbindung hergestellt und deshalb sicher nicht in Syrien gefertigt. Vielmehr unterscheidet es sich technisch nicht von den palmyrenischen Seidenstoffen, die aufgrund ihrer eingewebten chinesischen Inschriften zweifelllos in China produziert sind [8]. Andererseits könnten gewisse Ungereimtheiten in der Ausführung des Musters an unserem Gewebe darauf zurückzuführen sein, daß dem Weber die "östliche" Technik der Musterbildung mit Hilfe der Kette und der Umgang mit dem hierfür benötigten Webgerät nicht recht vertraut waren. Das Gewebe ist deshalb vielleicht nicht einer Han-zeitlichen ostchinesischen Werkstatt zuzuschreiben, sondern möglicherweise in Westchina oder Zentralasien hergestellt. In jedem Fall kann man sich fragen, ob die "westliche" Ikonographie bereits im Hinblick auf den möglichen Export des Gewebes in den Westen ausgewählt wurde.

Abb. 2: Umzeichnung des Textilfragmentes aus dem Turmgrab Nr. 65 in der Westnekropole von Palmyra, Inv.Nr. PAM 65.1.1-3

Derartig kostbare Gewebe waren nicht nur in Palmyra, sondern auch in China sicher kaum käuflich zu erwerben. Für die Palmyrenische Oberschicht waren diese chinesischen Seidenstoffe schon wegen ihrer fernen Herkunft aus einem rätselhaften Land, ihrer hohen handwerklichen Qualität und ihres Materials, das vor Ort nicht hergestellt werden konnte, ohne Zweifel Luxusgüter par excellence und besaßen einen hohen Prestigewert [9]. In unserem Fall werden Material- und Modewert, d. h. die Kostbarkeit des Objektes und damit die Extravaganz seines Besitzers, noch durch das auch für Palmyra exotische Thema der Darstellung gesteigert: die Weinlese an den Rändern des Römischen Reiches.

[1] Inv.Nr. PAM 65.1.1-3; Maße: 7,1 x 10,5 cm; 6,3 x 7,7 cm; 5,9 x 6,8 cm. - Ausführlich publiziert ist das Gewebe bei A. Stauffer, in: A. Schmidt-Colinet (Hrsg.), Palmyra, Kulturbegegnung im Grenzbereich2 (1997) 68 Abb. 112-113; A. Schmidt-Colinet - A. Stauffer, Die Textilien aus Palmyra (1999) 12f. 26ff. 47f. 145f. Nr. 240 Abb. 52. 105 Taf. 2a. 13e. 96-97 Farbtaf. IIIg.
[2] Zu Han-zeitlichen chinesischen Seidengeweben vgl. grundsätzlich K. Riboud, Archives of Asian Art 16, 1972/73, 12ff.; dies., Hali 34, 1987, 33ff.; dies. - V. Gervers (Hrsg.), Studies in Textile History in Memory of H. B. Burnham (1977) 357ff.; K. Yokohari, BAncOrMus 12, 1991, 41ff.; Stauffer a. O. 63ff.; L. von Falkenhausen, in: Schmidt-Colinet - Stauffer a. O. 58ff.
[3] Schmidt-Colinet - Stauffer a. O. Kat.Nr. 223. 521; zur Datierung ebenda 1ff. mit Anm. 6-16.
[4] Zur Technik vgl. grundlegend H. B. Burnham, Bulletin du CIETA 22, 1965, 25ff.; ders., Bulletin du CIETA 34, 1971, 16ff.; D. King, Bulletin du CIETA 28, 1968, 9ff.
[5] Vgl. Burnham a. O. (1971) 20 Abb. 2.
[6] Vgl. etwa Schmidt-Colinet - Stauffer a. O. Kat.Nr. 518.
[7] Zu einem Wollgewebe aus Niya/Minfeng mit Putti bei der Weinernte, allerdings in sehr viel naturalistischer Umsetzung, das wohl ein Importstück aus dem Westen ist, vgl. Das Königreich Loulan (jap. Text). Katalog Tokyio (1992) Nr. 250.
[8] s. oben Anm. 3 und von Falkenhausen a. O.
[9] Dazu grundsätzlich von Falkenhausen ebenda.

© Andreas Schmidt-Colinet, Wien
e-mail:
andreas.schmidt-colinet@univie.ac.at

This article will be quoted by A. Schmidt-Colinet, Weinlese an den Rändern des Römischen Reiches, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



HOME