Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

DIE SPHINX VON FISCHLHAM

Als 1993/94 bei Renovierungsarbeiten im Dachboden der zur Pfarre Fischlham (OÖ) gehörigen Wallfahrtskirche St. Georgen im Schauertal ein in die Triumphbogenwand eingemauertes "Köpfchen" (Abb. 1 und 2) entdeckt wurde, tauchten die verschiedensten Vermutungen auf: Das Fundstück sei keltisch. Oder römisch. Oder ist es eine Sphinx? Neben dem Köpfchen sind ja Pranken zu sehen. Hat man sich das ursprüngliche Aussehen der kleinen Skulptur etwa so wie in Abb. 3 rekonstruiert vorzustellen? Aber wie kommt Ägyptisches ins oberösterreichische Fischlham? - Angesichts dieser offenen Fragen spricht der neueste, 1998 publizierte Kirchenführer, der die Kirchen Fischlham und Steinerkirchen an der Traun sowie St. Georgen im Schauertal vorstellt, vorsichtig von einem "altertümlichen Steinköpfchen" [1]. Leicht konkretisierend ist auf der jüngst im Rieder Kunstverlag erschienen Informationskarte über St. Georgen von einem "Frauenkopf aus Sandstein" die Rede. Unbeantwortet blieb bislang auch die Frage nach der ursprünglichen Funktion des Stücks, ebenso wie jene nach dessen originalem Anbringungsort. Offensichtlich war bloß, daß das Köpfchen in die Triumphbogenwand erst nachträglich eingemauert worden war. Mittlerweile wurde es aus dieser gelöst, es wird jetzt im Pfarrhof von Steinerkirchen verwahrt.

Abb. 1: Steinerkirchen a. T., Pfarrhof, Fragment (Photo P. A. Kraml OSB, Stift Kremsmünster)

Seine Einordnung als römisch lag insofern auf der Hand, als 1919 am östlichen Talhang gegenüber der Kirche von Steinerkirchen zwei römische, ins frühe 2. Jahrhundert datierbare Grabsteinfragmente - eines davon mit einem Doppelporträt eines Ehepaares - gefunden worden waren; sie sind heute in der Vorhalle der Kirche zu sehen [2]. Im Frühjahr 1999 wandte sich Pfarrer Dr. P. Gregor Humer OSB daher an Prof. Dr. Fritz Krinzinger vom Österreichischen Archäologischen Institut der Universität Wien, mit der Frage, ob das 1993/94 gefundene "Köpfchen" tatsächlich römisch sein könnte. Krinzinger leitete die Unterlagen, nach seiner Stellungnahme "negativ", an die Autorin weiter, die als gelernte Mediävistin das Problem rasch lösen konnte (die Fachfrau lächelt!): Es handelt sich mit Sicherheit um ein Werk des 13. Jahrhunderts, das einen geläufigen Typus vertritt, der trotz seines fragmentarischen Zustands unschwer erkennbar ist.

Abb. 2: Steinerkirchen a. T., Pfarrhof, Fragment: weiblicher (?) Kopf (Photo P. A. Kraml OSB, Stift Kremsmünster)

Bedauerlicherweise ist es mir folglich nicht möglich, meinem Kollegen Dr. Friedrich Brein, einen Beitrag über ein Werk der klassischen Antike als Geburtstagsgeschenk zu Füßen zu legen, doch kann das Ins-Netz-Stellen meines Beitrags über ein mittelalterliches Werk im Rahmen der Festschrift Brein damit gerechtfertigt werden, daß das "Köpfchen" in den Jahren zwischen seiner Auffindung und der hier publizierten Analyse als antik angesehen wurde. Und zudem muß gesagt werden: Fritz Brein ist selbst schuld, daß das Stück nun nicht mehr in seine Festschrift paßt, denn er hat am Anfang meines Studiums Mitte der 70er Jahre in zahlreichen Vorlesungs- und Übungsstunden mein Interesse für die Ikonographie der Klassischen Kunst geweckt, was sicherlich dazu beitrug, daß ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit als Kunsthistorikerin in der Folge einen Schwerpunkt bei inhaltlichen Fragen setzte und setze. Für diese von ihm empfangene Anregung und seine jahrzehntelange Freundschaft sei dieses Analyschen ein kleines "Dankeschön".

Abb. 3: "Die Sphinx von Fischlham" (Rekonstruktion der Verf., basierend auf Abb. 1)


Das 21 cm lange Fragment besitzt einen etwa ovalen Grundriß, an seiner "Vorderseite", der mit 9,5 cm höchsten Stelle des Stücks, zeigt es ein stark abgeflachtes, nicht mehr eindeutig als männlich oder weiblich identifizierbares Gesicht. Auf eine Frau mag das spitz zulaufende Kinn deuten. Etwas hinter das Gesicht zurückgesetzt liegen auf einer stark beschädigten Plinthe symmetrisch zwei Pranken auf. Von der Schädeldecke des Kopfes ist die Skulptur nach hinten keilförmig abgearbeitet.
Beim Abarbeiten wurde zweifellos ein Löwe zerstört, der originaliter über dem Köpfchen lagerte, das schon ursprünglich als pars pro toto für einen ganzen Menschen wiedergegeben gewesen sein dürfte. Thematisiert war also die Macht des Bösen über den Menschen, das heißt: dessen Neigung zur Sünde. Dieser Inhalt bleibt auch bei jenen Psychomachiegruppen intakt, wo anstelle des Löwen ein anderes Raubtier auftritt respektive der Mensch durch ein - friedliches - Tier ersetzt ist. Das konsequente Abarbeiten unseres "bösen" Löwen läßt darauf schließen, daß die Psychomachie auch noch bei der Zweitversetzung des Stücks in die Triumphbogenwand des Kirchleins St. Georgen im Schauertal verstanden wurde.

Abb. 4: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Löwe aus dem Wiener Schottenstift, nach 1240 (Photo Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)
Vom Typus her vergleichbare Stücke sind aus dem Hochmittelalter in großer Zahl erhalten. Beim Exemplar in der Salzburger Franziskanerkirche (nach 1220), das dort bei der Kanzel aufgestellt ist [3], sowie bei jenem in der Umfassungsmauer des Stiftes Admont in der Steiermark (nach 1200) [4] ist der Mensch als ganze Figur wiedergegeben. Unserem Fragment aus St. Georgen steht das aus der Wiener Schottenkirche stammende, seit 1935 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verwahrte Exemplar (nach 1240) näher, wo der Löwe bloß einen - den ganzen Menschen repräsentierenden - Kopf zwischen seinen Pranken hält (Abb. 4) [5]. Der Löwe bedroht dort mit seinem geöffneten Maul den Menschen, ähnlich könnte sich auch sein Kollege aus dem Schauertal verhalten haben.
Großformatige Skulpturen dieses Typs konnten im Kircheninneren (Admont?), unter anderem vor dem Lettner positioniert sein (Salzburg, Franziskanerkirche?) oder - nach italienischem Vorbild - als Portallöwen fungieren (Wien, Schottenkirche?; Salzburg, Franziskanerkirche?). Weiters finden sie sich am Ostabschluß von Kirchen; beispielsweise sind an der südlichen Nebenapsis des Doms von Alba Iulia (Rumänien) unterhalb des Mittelfensters zwei symmetrische Löwen dargestellt, die ein Rind reißen (vor 1241) [6]. Kleinere Exemplare treten in der Zone des Rundbogenfrieses, der den Baukörper unterhalb der Traufe abschließt, auf (Gurk, Dom, Hauptapsis; vor 1220) [7]. Gelegentlich sind sie auf der Deckplatte des Dienstkapitells positioniert; dies trifft beispielsweise auf die beiden Psychomachie-Gruppen an der nördlichen Nebenapsis des Domes von Alba Iulia zu (Abb. 5). Die Kleinheit und die vollplastische Durchbildung unseres Exemplars läßt an eine derartige Verwendung denken.

Abb. 5: Alba Iulia, Dom, Nordapsis, Detail (Photo Verf.)

Die Proportionierung des Kopfes aus St. Georgen, insbesondere die lange Nase und das spitz zulaufende Kinn, sind schon von frühgotischen Arbeiten beeinflußt, so daß das Stück grosso modo ins zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert werden kann. Damit geht es dem Bau des Kirchleins, in dem es entdeckt wurde, zeitlich voran: Der annähernd quadratische, kreuzrippengewölbte Chor ist im mittleren 14. Jahrhundert entstanden, aus der zweiten Jahrhunderthälfte stammen die Apostelkreuze, an den Beginn des 15. Jahrhunderts sind die al secco gemalten, dem Internationalen Stil zugehörigen Wandmalereien zu datieren [8]. Im 15. Jahrhundert kamen das flachgedeckte Langhaus und die Sakristei hinzu. Die Langhausdecke wurde 1730 eingezogen. Die ersten urkundlichen Nennungen der Kirche sind aus 1414 und 1425 erhalten. Der Grundriß des Presbyteriums hat bereits früher vermuten lassen, daß dieses auf älteren Fundamenten stünde [9]. Das heißt, daß die auf uns gekommene Kirche einen älteren Vorgängerbau hatte. Ohne gezielte Grabungen im Prebyteriumsbereich muß die Frage nach diesem Vorgängerbau (eventuell eine Chorturmkirche?), der, wenn man von der Zugehörigkeit unserer kleinen Psychomachie zu diesem ausgeht, Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein müßte, aber offen bleiben. Freilich ist denkbar, daß man die Skulptur beim Abriß des Vorgängerbaus aus Respekt aufbewahrte und - durch das Abarbeiten des Löwen "entschärft" - in die Westfront des Presbyteriums einmauerte. Das zieht natürlich die Frage nach sich, ob das Presbyterium bis zum Anbau des Langhauses kapellenartig freistand oder aber ursprünglich ein hölzernes Langhaus besessen haben könnte. Offensichtlich machte die Anziehungskraft des Ortes, nämlich die Anziehungskraft einer unmittelbar neben der Nordwand der Kirche mündenden und sich dort in einen Teich ergießenden Quelle, schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Erweiterung des Gotteshauses notwendig. Ob der Glaube an die Heilkraft des "Brünndls" schon Mitte des 13. Jahrhunderts zur Errichtung eines Vorgängerbaus, der - möglicherweise an der Ostseite - mit der kleinen Skulpturengruppe besetzt war, geführt hatte, kann hier nur als Frage in den Raum gestellt werden.

[1] P. G. Humer - J. Sturm, Kirchenführer "Fischlham, Steinerkirchen an der Traun, St. Georgen im Schauertal" (Ried i. I. 1998) 30.
[2] Ebenda 9.
[3] H. Fillitz (Hrsg.), Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. I: Früh- und Hochmittelalter (München 1998) Nr. 131 (F. Dahm).
[4] Ebenda Nr. 129 (ders.).
[5] Ebenda Nr. 138 (ders.).
[6] A. Merhautová, Romanische Kunst in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien (Wien-München 1974) 255.
[7] F. Novotny, Romanische Bauplastik in Österreich (Wien 1930) Abb. 60.
[8] J. Sturm, Die gotischen Wandmalereien von St. Georgen im Schauertal, in: 30. Jahrbuch des Musealvereines Wels (1993/94/95) 299ff.; dort m.E. etwas zu früh (Ende 14. Jh.) angesetzt.
[9] Humer - Sturm a.O. 31.

© Martina Pippal, Wien
e-mail:
martina.pippal@univie.ac.at

This article will be quoted by M. Pippal, Die Sphinx von Fischlham, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



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