Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

"DA HIIB"

Daß das Studium der Altertumswissenschaften vor allem dazu dienen sollte, dem Menschen die Fähigkeit zu vermitteln, sich bei allen Tätigkeiten und in allen Berufen bewähren zu können, ja sie mit Hilfe der gerade durch die Wiener archäologische Schule vermittelten umfassenden Betrachtung dieses für uns so grundlegenden Abschnittes der Menschheitsgeschichte noch besser begreifen und erfüllen zu können, ist eine oft geäußerte Überzeugung Friedrich Breins, der auf diesem Gebiet mein erster und bester Lehrer gewesen ist. Auch er selbst hat - um gleich ein Beispiel zu nennen - in seinem angestammten Beruf, dem des Weinhauers, gern auf die Erfahrungen seiner Vorgänger, der Landwirte des klassischen Altertums, zurückgegriffen.
Ich selbst bin als "gelernte" Altertumswissenschaftlerin jetzt hauptsächlich als "angelernte" Sprachwissenschaftlerin tätig, und wage nun einen Versuch auf diesem Gebiet, in dem mich vor allem meine "Tante", Prof. Maria Hornung, unterwiesen hat, der ich für Rat und Hilfe - besonders auch bei diesem Unternehmen - herzlich danken möchte.
Es soll hier der Beiname eines Weinhauers aus Strebersdorf (nunmehr Teil des 21. Wiener Gemeindebezirks) betrachtet werden, der einst den angestammten Ehrenplatz des Familienoberhauptes bei Tisch mit niemandem zu teilen bereit war, außer mit seinem Enkel, der sich hoffentlich künftig dem ererbten Weingarten - nicht mehr belastet durch zeitverschlingende Verwaltungsarbeit an der Universität - mit mehr Ruhe widmen können wird. Der Beiname, unter dem dieser Strebersdorfer Weinhauer allgemein bekannt war, lautete - schriftdeutsch - "der Hieb", im - mittelbairischen - Wienerischen (Strebersdorf liegt sprachlich an der verschwimmenden Grenze zwischen Wien und Niederösterreich) "da hiib"; eine zweite belegte Form - der Gewährsmann dafür ist ein nunmehr betagter Strebersdorfer, der als junger Mann den "Hieb" noch gekannt hat - kommt ohne die starke Dehnung des Vokals aus, lautet also "da hib" - mit der durch die kurze Silbe bedingten Auslautverhärtung, die sich aber im Mittelbairischen nicht so stark auswirkt, eventuell "da hip".
Zunächst einiges zum Wort "Hieb" selbst. Wir haben ein maskulines Substantiv vor uns, das aus dem Präteritum des starken Verbs "hauen" gebildet wird [1]. Zur mittelhochdeutschen Form "houwen" sind erstmals in den Nürnberger Chroniken die Abwandlungsformen "hieb" [2] und "hieben" [3] belegt [4]. Die Substantivbildung aus dem Präteritum erfolgte relativ spät, nach W. Pfeifer im 15. Jh. [5], und ersetzte von da an das ältere Substantiv "hau" (mittelhochdeutsch "hou"). Das ältere Wörterbuch von J. und W. Grimm betrachtet die neue Form allerdings erst im 17. Jh. als eingeführt [6]. Die Präteritumsform, aus der sie gebildet wird, ist durch das ehemals wurzelschließende "w" des althochdeutschen Verbs "hauwan" (mittelhochdeutsch "houwen") bedingt, das sich zu "-b" verhärtet. Seit dem 16. Jh. tritt als Partizip neben "gehauen" auch "gehieben" auf, noch für das 17. Jh. ist bei Grimm aber auch die alte Substantivform "hau" neben dem neuen "hieb" als belegbar angegeben [7].
Versuchen wir nun weiters aus den verschiedenen Bedeutungen, in denen das Wort verwendet werden kann, diejenigen herauszugreifen, die in unserem Fall am ehesten in Frage kommen.
Im Wörterbuch der Wiener Mundart [8], das hier wohl zunächst heranzuziehen ist, werden als mögliche Bedeutungen genannt: 1. Schlag; 2. geistige Beschränktheit oder Anomalie (sozusagen als Folge eines Schlags auf den Kopf); 3. Rausch; 4. Name für Wiener Außenbezirk. Die ersten drei Varianten kämen wohl in Frage, die zweite scheint mir jedoch unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich - es handelt sich ja um einen persönlichen Beinamen, nicht um einen ererbten Familienbeinamen - ist hier auch eine bei Pfeifer [9] zusätzlich genannte Bedeutung, nämlich das Recht, in einem bestimmten Gebiet Holz zu schlagen. Im Duden [10] finden wir folgendes: 1a. Schlag, Stoß - davon abgeleitet "geistiger Defekt", ebenso davon abgeleitet die Bedeutung "auf einmal" (z.B. "auf einen Hieb austrinken"); 1b. Schläge (Plural); 2. Narbe (von Verletzung durch Schlag); 3 (regional) a. Schluck Alkohol; b. leichter Rausch. Weiters sind hier wohl nicht relevante Ausdrücke aus Forstwirtschaft und Technik genannt; für uns in Frage kommen vermutlich wiederum eher 1 und 3. Grimms Deutsches Wörterbuch [11] kennt 1. Handlung des Schlagens; 2. und 3. Termini aus der Fechter- bzw. Jägersprache, die schwerlich in Betracht kommen dürften; 4. Hiebwunde oder Hiebspur, in Verbindung damit 5. Rausch oder geistiger Defekt; 6. verschiedene Begriffe aus Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Technik usw., die für uns sicherlich ebensowenig von Bedeutung sind, wie 7. fehlerhafte Vertiefung am Widerrist des Pferdes.
Wenn wir uns nun den weiter oben erwähnten zwei Lautungsvarianten - der gedehnten und der kurzen Form - zuwenden, so müssen wir den Grund dafür wohl in der im Mittelbairischen um 1300 einsetzenden Lenisierung der Fortis (auf deutsch: Abschwächung des starken Mitlauts) am Ende eines Einsilbers suchen [12]. In der eigentlich zweisilbigen Pluralform bleibt der starke Konsonant erhalten, auch wenn aus dem Zweisilber durch Apokope des unbetonten "-e" im Auslaut sekundär ein Einsilber wird. Vor dem schwachen Mitlaut der Singularform wird der Vokal jedoch gedehnt - und so lautet korrekterweise im mittelbairischen Wienerischen etwa der Singular von "Tisch" "diish", der Plural hingegen "disch", der Singular von "Sack" "soog", der Plural "seck", der Singular von "Kranz" "graaonds", der Plural "grents", der Singular von "Hieb" eben stärker gedehnt "hiib", der Plural wesentlich kürzer "hip".
Einer Theorie E. Kranzmayers zufolge [13], könnte dieser Einsilberdehnung ein gewisses Bedürfnis zugrundeliegen, alle Wörter möglichst gleich lang sein zu lassen. Dies würde nun zur Kürzung der langen althochdeutschen Nebensilben führen, einerseits eine Dehnung der Zweisilber, andererseits eine Kürzung der Dreisilber zur Folge haben und schließlich Einsilber mit überlangem Vokal entstehen lassen. Diese Einsilberdehnung [14], die er im Mittel- und Nordbairischen schon im 12. Jh. ansetzt, sieht Kranzmayer möglicherweise darin begründet, daß - da Singular und Plural durch die Apokope des schwachtonigen "-e" im Auslaut gleichlautend geworden sind - eine Längung des echten Einsilbers im Singular eventuell wiederum eine Unterscheidungsmöglichkeit herbeiführen sollte.
Die beiden vorliegenden Lautungen des Namens sind also wohl als Singular- und Pluralform anzusprechen. Ob Einzahl oder Mehrzahl, in jedem Fall will ich annehmen, daß der Großvater dem Enkel ganz sicher als unbeugsamer Kämpfer und wohl auch gelegentlich als kundiger Weintrinker und -genießer vorangegangen ist.

[1] M. Hornung, Wörterbuch der Wiener Mundart1 (Wien 1998) 464.
[2] Chr. 2, 326, 23.
[3] Chr. 2, 308, 23; 309, 4.
[4] M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (Leipzig 1872) 1358.
[5] W. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen2 (Berlin 1993) 539.
[6] J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch 10 (Leipzig 1877; Nachdruck München DTV 1984) 1306f.
[7] Grimm a.a.O.
[8] Hornung a.a.O.
[9] Pfeifer a.a.O.
[10] Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (Mannheim 1977) 1226f.
[11] Grimm a.a.O.
[12] M. Schuster - H. Schikola, Sprachlehre der Wiener Mundart (Wien 1984) 113f.
[13] E. Kranzmayer, Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes (Wien 1956) Einleitung § 33. [14] Kranzmayer a.O. Einleitung § 34k.

© Anna Gasser, Wien

This article will be quoted by A. Gasser, "Da Hiib", in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



HOME