Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000 |
Abb. 1: Bronzefigur in London, British Museum 208 (nach L. Burn, Foot Race, in: O. Tzachou-Alexandri [Hrsg.], Mind and Body, Athletic Contests in Ancient Greece [1989] 243 Nr. 135) |
Die lakonische Bronzestatuette aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zeigt ein Mädchen, das in weit ausholendem Laufschritt, den Kopf zurückgewendet, dargestellt ist (Abb. 1) [2]. Mit der linken Hand lüpft sie ihr Gewand. Ihr Erscheinungsbild mit ihrem kurzen Chiton, der die rechte Schulter und Brust freiläßt, erinnert an die Überlieferung des Pausanias (V 16, 2-4), in der sich der Autor auf das der Hera von Olympia zu Ehren penteterisch abgehaltene Fest bezieht, bei dem ein Wettlauf von Mädchen abgehalten wurde. Als Schauplatz des Ereignisses ist das um ein Sechstel verkürzte olympische Stadium überliefert. Der Wettlauf fand in drei Alterskategorien statt, wobei die jüngsten Mädchen zuerst starteten und die ältesten zuletzt. Die Siegerinnen erhielten einen Olivenkranz und einen Fleischanteil, der für Hera bestimmten Opferkuh. Sie hatten auch das Recht, ihr gemaltes Porträt zu weihen. Im Rahmen der festlichen Ereignisse wurde der Hera ein Peplos geweiht. |
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Mit dem Blick in Laufrichtung ist eine weitere lakonische Läuferin aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. dargestellt (Abb. 4) [8]. Sie trägt einen kurzen Chiton, der nicht der Beschreibung des Pausanias entspricht. Sie ist daher wohl nicht während des Laufes zu Ehren der Hera von Olympia dargestellt. Auch sie hebt mit ihrer linken Hand den Saum ihres Gewandes hoch.
Man kann davon ausgehen, daß die Statuetten der Wettläuferinnen Zeugnisse historischer Ereignisse sind, deren Laufhaltung jedoch nicht naturalistisch wiedergeben ist, sondern auf künstlerisch, interpretativen Vorstellungen beruht. Die Darstellung des Bewegungsablaufes kann in bezug auf das schnelle Fortkommen, auch wenn die Figuren in London (Abb. 1) und in Palermo (Abb. 3) einen dynamischen Eindruck vermitteln, nicht auf realen Grundlagen beruhen. Die Bewegung der Arme parallel zur Bewegung der Beine derselben Körperhälfte (Paßgang) entspricht nicht der Realität, wohl aber zeitgleichen archaischen Laufdarstellungen. Das Zurückwenden des Kopfes kann mit der Intention die Distanz zu den Konkurrentinnen in Erfahrung zu bringen, erklärt werden. Als in diesem Zusammenhang jedoch gänzlich unmotivierte Handlung, da sie die Geschwindigkeit der Läuferin verlangsamen muß, ist das Anheben des Gewandsaumes auffallend [9]. Da die Chitone der beiden lakonischen Läuferinnen (Abb. 1 und 4) kurz sind und somit keine Länge haben, die ein Anheben des Gewandsaumes notwendig macht, um ein Stolpern zu verhindern, muß dieser Geste eine Bedeutung zukommen, sofern man sich nicht mit dem Argument der künstlerischen Phantasie zufrieden gibt. Daß selbst das Anheben des zum Laufen sicher nicht so geeigneten, längeren Peplos der Läuferin in Palermo (Abb. 3) nicht unbedingt notwendig ist, sollen Läuferinnen auf einer schwarzfigurigen, etruskischen Hydria veranschaulichen (Abb. 5) [10]. Es ist auffallend, daß die Läuferinnen trotz der Gewandlänge den Gewandsaum nicht anheben und ihre Arme dem schnellen Fortkommen entsprechend bewegen. |
Abb. 5: Hydria im Vatikan, Museo Gregoriano Etrusco 14959 (nach H. A. Harris, Sport in Greece and Rome [1973] Abb. 41) |
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Die Geste des Saumanhebens der Läuferinnen wird somit zu einem Ausdrucksmittel sozialer Herkunft, da es nur den Reichen und dem Adel möglich war den Mädchen eine feine Erziehung zu geben [14]. Auch die Teilnahme der Mädchen an den Wettläufen, die ja ein regelmäßiges Training voraussetzen, war auf Mitglieder aus vermögenden Verhältnissen beschränkt, da es nur dieser Schicht möglich war, eine Arbeitskraft im Haushalt zu entbehren [15]. Daß auch die Amazone, die ein Sinnbild für unzivilisiertes Verhalten ist, - wie wohlerzogene Mädchen - ihren Gewandsaum anhebt, mag irritierend sein. Es ist aber zu bedenken, daß sie - so wie die Läuferinnen - in das 6. Jh. v. Chr. datiert, ein Jahrhundert in dem diese Geste sich als konventionelle Darstellungsweise in der Koroplastik durchgesetzt hat.
[1] Dieser Artikel behandelt einen Aspekt der unpublizierten Dissertation der Verfasserin: U. Eisenmenger, Eine Untersuchung zur sozialen Stellung der Frau in der archaischen und klassischen Zeit als Interpretation anhand der Denkmäler über den Sport, zu den Weihgeschenken und zu den Priesterinnen (unpubl. Diss. Wien 1996).
[2] Bronzefigur aus Prizren (Serbien) in London, Brit. Mus. 208; H = 11,4 cm; Gefäßschmuck. Die Datierungsvorschläge variieren zwischen 560-500 v. Chr. Früher Ansatz: G. Arrigoni, Le Donne in Grecia (1985) 157 mit ausführlicher Bibliographie. Späte Datierungsvorschläge: J. Swaddling, the Ancient Olympic Games (1988) 43; L. Burn, Foot Race, in: O. Tzachou-Alexandri (Hrsg.), Mind and Body, Athletic Contests in Ancient Greece (1989) 243 Nr. 135. Beschreibung der Figur: M. Herfort-Koch, Archaische Plastik Lakoniens, 4. Beih. Boreas (1986) 94 K50 Taf. 6, 6.
[3] Amazone von der Athener Akropolis, Athen, Nationalmuseum 6589; H = 14 cm; Gefäßschmuck, 550 v. Chr. nach Herfort-Koch a. O. 94 K51; 3. Viertel 6. Jh. v. Chr. nach D. von Bothmer, Amazons in Greek Art (1957) 122 Nr. 8. Sie gehört zu einer Gruppe von zwei weiteren Amazonen (Athen, Nationalmuseum 6622 und 6624). Für T. F. Scanlon, The Footrace of the Heraia at Olympia, The Ancient World 9, 1984, Nr. 3-4, 80 ist durch diese Amazone der Beweis erbracht, daß das Gewand der Wettläuferinnen in Olympia von den Amazonen abzuleiten ist. Im Gegensatz dazu: N. Serwint, The Female Athletic Costume at the Heraia and Prenuptial Initiation Rites, AJA 97, 1993, 416-417. Der kurze Chiton der elischen Läuferinnen sei ein rituelles Gewand, das dem Aussehen nach der Exomis entspreche. Wie diese Amazone beweist, irrt sie mit der Behauptung (Serwint a. O. 414), daß das Amazonengewand mit freier rechter Schulter und Brust erst viel später datiere als das Gewand der Heraialäuferinnen. H. A. Harris, Greek Athletes and Athletics (1964) 180 vergleicht den Chiton der Heraialäuferinnen mit dem der jagenden Artemis.
[4] Bronzefigur in Palermo, Museo Archeologico Nazionale 8265; H = 7,3 cm; Gefäßschmuck aus Magna Graecia oder Sizilien, um 540-530 v. Chr. Arrigoni a. O. 158-159.
[5] Darstellung einer Mänade: U. Jantzen, Bronzewerkstätten in Großgriechenland und Sizilien, 13. Ergh. JdI (1937) 27 Nr. 16. Darstellung einer fliehenden Leukippide: Scanlon a. O. 79-80. Zusammenfassung der bisherigen Interpretationsversuche: Arrigoni a. O. 158-159.
[6] Brauron und Munichia: Darstellungen laufender Mädchen auf den sog. Krateriskoi sind bildliche Zeugnisse der Arkteia, Riten, die von den der Artemis dienenden Arktoi durchgeführt wurden. Darstellungen mit laufenden Mädchen: Krateriskos, Brauron Museum 546: L. G. Kahil, Mythological Repertoire of Brauron, in: W. G. Moon (Hrsg.), Ancient Greek Art and Iconography (1983) 236 Abb. 15.7; Krateriskos, Brauron Museum 548: dies., Quelques Vases du Sanctuaire d'Artemis à Brauron, 1. Beih. AntK (1963) 13 Nr. 25 Taf. 6.1; L. Paliokrassa, To hiero tis Artemidos Munichias (1983) 73-74. 189 Nr. 9 Taf. 46a; 207 Nr. 55 Taf. 52a; 192 Nr. 16 Taf. 46b; gesammelt und aufgearbeitet von: M. E. Eberwein, Die Bärinnen von Brauron (unpubl. Dipl. Wien 1991); Eleusis: Hesych s.v. Eleusinia; Kyrene: H. Boeckh, Pindari Opera II 2 (1821) 328; Sparta: Xenophon, Lak. Pol. 1, 4; Plutarch, Lyk. 14, 2; Theokrit 18, 22; Pausanias III 13, 7; Philostrat, Gymnastik 27; Hesych s.v. Dionysiades. Zu den von Frauen ausgeübten Sportarten in Sparta: J. Jüthner - F. Brein, Die athletischen Leibesübungen der Griechen (1965) 100.
[7] Arrigoni a. O. 159; dies. a. O. 158 führt als möglichen Herkunftsort Tarent an, das eine Gründung Spartas war. Die Annahme, daß tarentinische Mädchen sportlich aktiv waren, ist daher umso wahrscheinlicher.
[8] Lakonische Bronzefigur aus Dodona, Athen, Nationalmuseum, Sammlung Carapanos 24; H = 11,7 cm; Gefäßschmuck, 550-540 v. Chr.; Beschreibung: Herfort-Koch a. O. 93 K 49 Taf. 6, 5; Arrigoni a. O. 156 Taf. 2 mit Interpretationsvorschlägen und ausführlicher Bibliographie.
[9] Serwint a. O. 410 vermutet trotz der Kürze des Chitons, daß das Anheben des Saumes den Lauf unterstütze.
[10] Hydria im Vatikan, Museo Gregoriano Etrusco 14959, Ende 6. Jh. v. Chr.; Arrigoni a. O. 165-166 Taf. 12.
[11] Marmorstatue der Philippe in Samos, Museum, aus dem Heraion von Samos, der Geneleosgruppe zugehörig, um 560 v. Chr.; Kore des Antenor in Athen, Akropolis-Museum 681, um 525 v. Chr.; Zeus des Ostgiebels des Zeustempels von Olympia, Olympia Museum.
[12] Sappho Frg. 61D.
[13] Zum Thiasos der Sappho: E. Specht, Frauensozialisation und Mädchenbildung im antiken Griechenland (1985) 116 ff.
[14] Eisenmenger a. O. (Anm. 1) 6-7.
[15] Kinder mußten im elterlichen Haushalt mitarbeiten. Sie wurden als Unterstützung bei der Sklavenarbeit angesehen. M. Golden, Children and Childhood in Classical Athens (1990) 33-35; E. Specht, Sport im alten Griechenland, in: E. Specht (Hrsg.), Alltägliches Altertum (1998) 85-86.
This article will be quoted by U. Eisenmenger, Über das Anheben des Gewandsaumes, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).