Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 14 / III / 2000

SCHLÜSSEL, SCHLOSS UND KNOTEN.
Zur Bedeutung von kleís, kles, att. kleis

Aristoteles sagt zu Beginn des 3. Buches der Metaphysik: "Wer den Knoten nicht kennt, kann ihn nicht lösen", und bezeichnet so den Weg des Erkenntnisgewinnes bei der Lösung von Problemen [1]. Der Satz kann, wörtlich verstanden, auch als "Schlüssel" benützt werden zum Verständnis alter Methoden des Verschließens, Versperrens, und der geheimen Absicherung.

Abb. 1: Mädchen mit Schlüssel, rotfigurige Hydria, Mus. Berlin 2382 (nach H. Diels, Antike Technik [1914] Taf. VI)

Das griechische Wort für "Verschluß" ist, seit Homer, kleís (s. Dokument 1 im Anhang) [2]. Es bezeichnet im Epos den an der Innenseite der Doppeltür angebrachten, oft die ganze Türbreite erreichenden Querriegel, der von außen mit einem durch eine Öffnung im Türblatt geführten Riemen (himás) bewegt und so als Türverschluß benützt wurde [3], ebenso aber den Haken, den man von außen durch das Türblatt steckte, so den Riemen oder den Riegel selbst fassen und ,aufsperren' konnte (Il. 6,89) [4]; später, schon Od. 21,6ff. (47), bezeichnet das Wort offenbar den Schlüssel schlechthin, ungeachtet der nach dem Stand der Technik zur Verfügung stehenden Konstruktion des Schlosses (Abb. 1) [5]. Dasselbe Wort steht in der Odyssee für die ,Ruderbank' (z. B. 2,419), bei Herodot 5,108,2 für ein ,Vorgebirge' in Zypern, bezeichnet bei Euripides, Troerinnen 256 ,heilige Bänder' oder ,Priesterbinden' und Medea 212 den Hellespont als ,Schlüssel (Riegel) des Meeres', und auch diese Bedeutungen lassen sich aus der Grundbedeutung erklären [6].

Die ursprüngliche Vorstellung bei ,verschließen' ist ,binden', ,verbinden', ,zubinden', und so bedeutet kleís schon bei Homer zwar auch ,Schlüssel' oder vielmehr ,Sperrhaken', eigentlich gemeint ist aber das Festmachen, das Zusammengeschlossene, der ,Verschluß' ganz allgemein, der Knoten, der Türriegel, und auch die Dolle, an der die Ruder (Riemen) bei einem Schiff befestigt werden [7]. Die Bedeutungen haben einen gemeinsamen Ursprung in der geknoteten Schlaufe, dem Verschluß für Truhen, Kisten, Laden und Türen.
Bei den Belegen aus dem homerischen Epos fällt der sakrale Kontext auf, in dem ,Verknoten' verbunden ist mit der Erwähnung von Stoffen und Gewändern [8]. Dies führt zu archäologischen Zeugnissen aus Kreta, Thera und Mykene, auf denen im Zusammenhang mit Opfer- und Weiheszenen ein schlaufenartig verknotetes Band oder Stück Stoff (Schärpe) als Beigabe zu erkennen ist (,sacral knot') [9], gelegentlich schmückt ein solch verknotetes Band auch das Gewand einer Figur, z. B. der ,Pariserin' auf dem Prozessionsfresko (dem sog. ,Klappstuhl-Fresko') von Knossos (Abb. 2) oder einer weiblichen Prozessionsfigur auf einer Wandmalerei in Mykene [10]. Es sind Priesterinnen, die bei einer Prozession mit Opfergaben, darunter auch Kleidungsstücken und Stoffen, gezeigt werden.

Abb. 2: "Pariserin", auf dem Prozessionsfresko von Knossos (nach S.P. Marinatos, Kreta, Thera und das mykenische Hellas3 [1986] Taf. XVI)

Abb. 3: Doppelaxt und Knoten (nach A. Evans, The Palace of Minos at Knossos I [1921] 432 Abb. 310d)

Der ,kultische Knoten' ist (als Zusatz, nicht als Teil des Gewandes der Priesterin) im Nacken geknüpft und als Zeichen der Priesterwürde, vergleichbar einer Binde, zu deuten. Aber auch die in Opferzügen überbrachten Stoffe und Gewandgaben werden in Form geknoteter Schlaufen getragen und überreicht oder niedergelegt [11]. Die Fresken zeigen keinen Hochzeitszug, zeigen aber vielleicht, wie man sich einen solchen vorstellen kann, denn es gibt den Brauch, bei Hochzeitsvorbereitungen und auch bei Hochzeitsgeschenken (und dies sind Kleider oder -stoffe) an den Textilien Bindeknoten anzubringen, zuerst als Apotropaion, dann aber mit dem Zweck, diese wieder zu lösen, damit zum Zeitpunkt der Hochzeit - wie sonst bei jeder Geburt - kein unheilverheißender Knoten geknüpft ist [12]. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die Übergabe des Prachtpeplos und der zwölf goldenen Schließen, die Antinoos für Penelope in der Odyssee als Brautgeschenk bringen läßt (Od. 18, 292-294). Die Knoten sind notwendig für die Hochzeitszeremonie, daher angebracht auf dem Geschenk, in einer schön gesteckten Form mit den perónai verbunden; oder um die perónai geknüpft: zieht man die Nadel heraus, löst sich der Knoten. Auch die ,Pariserin' könnte eine Nadel durch den Knoten an der Schlaufe im Nacken gesteckt haben, deren großer Kopf in Draufsicht zu erkennen wäre (die Abb. sind nicht eindeutig). Übrigens finden sich unter den ,kultischen Knoten' auf Siegeln und Fayencen auch solche, die mit einer Doppelaxt verbunden sind (Abb. 3) [13].

In den hier interessierenden Fällen bezeichnet kleís das Festmachen, ,Zusammenschließen' durch Knoten, mit kledes sind folglich ,(Schnür)bänder' gemeint, auch ,Einschnürung', und es ergeben sich weitere Spuren. Das Lexikon von Liddell-Scott-Jones s.v. kleís (V) führt an Hdt. 5,108 kledes von Zypern, "of promontories, straits", und es ist Euripides, Medea 212 angefügt [14]. Zur Erklärung führen die bei Liddell-Scott-Jones unmittelbar folgenden Verweise auf Euripides, Troades 256 und Hesych s.v. kledes (Dokument 2 im Anhang). K. Meuli hat auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht und kleís als Bezeichnung für das ,Schloß'-Gewand gefesselter Göttinnen oder deren Götterbilder erklärt, also ,Verschnürungen' mit Bändern [15]. Es läßt sich noch eine andere Hesych-Notiz danebenhalten: Hesych s.v. kleida (Dokument 3 im Anhang). Gemeint sind wohl über Schienbein und Wade, halbwegs bis unter das Knie hochgeschnürte, sandalenartige Schuhe, die auch Hippokrates (ohne die von Hesych mitgeteilte Bezeichnung zu verwenden) für Kreta bezeugt und von denen Galen sagt, daß sie von Jägern getragen werden, weil diese im unebenen Gelände nicht nur laufen, sondern auch springen müssen; aus demselben Grund, wegen der hohen, unwegsamen Berge der Insel, vermutet Galen, haben die Kreter diese Schuhe entwickelt. Die alte Bezeichnung für diesen Schnürschuh ist auf Kreta erhalten geblieben [16].

Abb. 4: Knotenauswahl (nach S. Alexiou in: W.C. Brice [Hrsg.], Europa - Studien zur Geschichte und Epigraphik der frühen Ägäis. Festschrift für E. Grumach [Berlin 1967] Taf. 1)

Wir haben offensichtlich eine zusammengehörende Gruppe von Zeugnissen, die nur zu verstehen sind, wenn man ,Verschließen' in der allgemeinen Bedeutung ,Verschnürung', ,Umschnürung', ,Abschnürung' sieht. Verbindet man diese Bedeutung des Wortes mit bildlichen Darstellungen aus mykenischer Zeit, ergibt sich ein Zusammenhang, der auf den ,kultischen Knoten' führt (Abb. 4). Und auch die mykenische Funktionsbezeichnung ka-ra-wi-po-ro, wiedergegeben als /klãwiphoros/, läßt sich so erklären: Nicht der Schlüssel eines Heiligtums - ein solcher ist überdies aus der frühen Zeit nicht belegt - bezeichnet ursprünglich die Würde, sondern die als Abzeichen getragene besondere Binde oder Schärpe (Abb. 5) [17].
Ich vermute, daß die griechische Bezeichnung für diesen ,kultischen Knoten' kles ist. Die alte Bedeutung wurde vergessen oder durch die speziellere von kles verdrängt. Dennoch hat sich in literarischen Belegen, im Zusammenhang mit religiösen und kultischen Übungen, eine Erinnerung erhalten; einige Interpretationsprobleme lassen sich mit diesem Wissen besser verstehen und können gelöst werden.

Abb. 5: Knabe mit Tuch (nach Ch. Doumas, The Wall-Paintings of Thera [1992] Abb. 109)

Nicht ein Schlüssel, sondern das Gewand der Priesterin oder der Göttin ist auch gemeint bei Kallimachos, Hymnus an Demeter 44 (Dokument 4 im Anhang):
"Und sofort nahm sie (Demeter) die Gestalt der Nikippe an, die ihr die Stadt zur offiziellen Priesterin bestellt hatte, und griff mit der Hand die Binden und den Klatschmohn, und auf die Schultern herabhängend trug sie die Priesterschleife."
Demeter, so meint man, hat den ,Schlüssel' über die Schulter gelegt, den Tempelschlüssel als Zeichen ihres Heiligtums; dies ist nicht möglich, wenn auch Bilder das Tragen eines großen Schlüssels belegen [18], denn sie hält die Mohnblume in der einen, die Binden in der anderen Hand; der große Schlüssel ist da nicht mehr unterzubringen. Es meint auch hier die alte Bedeutung des Wortes ein besonderes, geknotetes Band als Hoheitszeichen: die Göttin trägt die Priesterschleife, über Nacken und Schultern gelegt, vergleichbar der ,Pariserin' aus Knossos [19].
In den Troerinnen des Euripides (256-258) ruft Hekabe ihrer Tochter Kassandra zu: "Wirf weg, Kind, die hochheiligen kledes!" (Dokument 5 im Anhang), und Kassandra wirft Priesterbinde und Netzgewand, die sichtbaren Zeichen der Priesterin-Wahrsagerin ab und sagt sich los von ihrem Gott, Apollon (451-454). Es sind nicht die Schlüssel des Tempels, es sind Bänder, die sie wegwirft [20].
Und auch die ‚kledes von Zypern' (Dokument 2 im Anhang) des Herodot lassen sich anschaulich erklären: es ist die Bezeichnung für die nördliche Spitze der charakteristischen, nach Nordosten verlaufenden langgestreckten Halbinsel Zyperns und einige kleine, vorgelagerte Inseln, die als ,Einschnürung', ,Abschnürung' angesehen wurden, und noch heute auf Landkarten Kleides (Klidhes) Islands heißen [21]. Ein Ausläufer dieser Vorstellung hat vielleicht noch die Orphischen Hymnen erreicht: Proteus ist dort angerufen als "der, der die Schlüssel des Meeres hat" (25,1; Dokument 6 im Anhang), und dies erinnert an die ägyptische Insel (,Landabschnürung') Pharos, Wohnsitz des Proteus seit Homer [22].
kles in der Bedeutung ,Knoten, Verknotung, Einschnürung, Abschnürung' kann schließlich auch die eingangs erwähnte Stelle in der Medea des Euripides erklären. Vers 212, ein Vers des Chors, steht am Ende der Parodos, unmittelbar vor dem Auftritt der Medea, deren Klagen und Verwünschungen Amme, Paidagogos und die korinthischen Frauen erschrocken und angstvoll aus dem Inneren des Hauses vernommen haben. Während die Amme, vom Chor gebeten (180ff.), ins Haus geht, um Medea zu holen (184), faßt der Chor die Hauptpunkte aus Medeas Klagerufen zusammen (204-212, vgl. 111 mit 207, 166f. 209ff.): Medea, vom Unglück und dem ihr angetanen Unrecht betroffen, wendet sich an Themis, Tochter des Zeus (160. 169 und 208), die sie in das der Meerenge gegenüberliegende Griechenland fahren ließ (210), durch Bosporus (433f.) und Hellespont (212) (Dokument 7 im Anhang):

(Themis,)

In Vers 211 hat J. Lenting (1821) das überlieferte nuchion nach Aischylos, Perser 876 (Dokument 8 im Anhang) zu muchion geändert, und H. Weil, A.W. Verrall, R. Prinz und N. Wecklein nehmen die Korrektur auch in den Text. Es ergibt dies eine genauere geographische Bezeichnung der Flucht, "innen, durch die umschlossene See" (Propontis), und zum Hellespont [23]. Bei Apollonios, zu Anfang des vierten Buches der Argonautika, flieht Medea bei Nacht aus dem Palast, mit ihrer Hilfe kann Iason sich des Vlieses bemächtigen (in der Nacht, vgl. Euripides, Medea 480-482), und erst mit dem Erreichen des Schiffes beginnt der nächste Tag (4,183). Dies und die einhellige Überlieferung raten dazu, den Text nicht zu ändern.
In Vers 212 macht die Änderung von aperanton zu aperantou den Text verständlich und glatt, und doch setzt sie nur J. Diggle in den Text [24]. Liddell-Scott-Jones s. v. führen die Stelle unter der Bedeutung "boundless, infinite, of space" an, und entsprechend wird auch übersetzt, z. B. von K.H. Eller (Stuttgart 1983): "… zum bitteren Tor des unendlichen Meeres" (offensichtlich aperantou, im Text steht allerdings aperanton, wie in Murrays Ausgabe von 1902). Page sagt (S. 87): "aperanton = ,hard (impossible) to pass through'", und "This seems to me much the likelier interpretation", mit Verweis auf die bei Aischylos, Prometheus 153 und 1078 belegte Bedeutung ,unentrinnbar' [25]. Dort heißt es "in den Tartaros ohne Ausweg" [26], und Vers 1078 "in das ausweglose, undurchdringliche Netz des Unheils" (Dokument 9 im Anhang) [27]. Eine Verbindung der Vorstellung von ,Riegel' und ,Schloß' mit diesen beiden Stellen wird erkennbar in den Übersetzungen der Verse Medea 211/212 von H. von Arnim ("… zu der salzigen Pforte hin, welche den Pontus verriegelt" [28]), U. von Wilamowitz-Moellendorff ("… zum Sunde, des Pontos verriegelter Pforte" [29]), und D. Ebener ("… über die nächtliche Flut, zum verschlossenen salzigen Tore der See" [30]).
Eine befriedigende Erklärung ergibt sich auch hier aus dem richtigen Verständnis von kleís (kles) [31], denn es ist dieselbe, ursprüngliche Vorstellung, die Euripides, Medea 212 zugrundeliegt: "… durch das Meer nächtens, zu auf die salzbittere Verschnürung des Pontos, die undurchdringliche" - der Ausweg ist schwer, wie aus einem gebundenen Sack. Dies bezeichnet treffend den Hellespont, den die Griechen, um Byzanz vor türkischen Schiffen zu schützen, unter Konstantin XII. Dragases im Jahre 1449 tatsächlich mit einer riesigen eisernen Kette verschlossen ("Kette von Byzanz").
Und noch ein Letztes. Die etymologische Verwandtschaft von kleís mit lat. clavus kann auch eine Erklärung für die Bedeutung des latus clavus, des Streifens am Saum der römischen Tunika geben: es handelt sich um ein getrenntes, aufgenähtes Band, das diese Bezeichnung trägt [32].

Dokumente 1-19



[1] Met. B (3), 1, 995 a 28-30 (s. Dokument 10 im Anhang).
[2] R. Kühner - F. Blass, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache 1: Elementar- und Formenlehre 13 (Hannover-Leipzig 1890, Darmstadt 1966) 461 und 486,6,1 (zum Akzent; vgl. auch Suda, k 1772. 1775 Adler); A. Debrunner, Mus. Helv. 3, 1946, 45-48.
[3] Der Vorgang kann Od. 1,436-444 nachvollzogen werden, wenn Eurykleia das Gemach des Telemach verläßt und behutsam die Tür schließt, dazu Eustath., Od. 1,443 (1,75,24). Vgl. auch Il. 12,456, Od. 4,802. - Zimmer wurden zumeist mit Vorhängen verschlossen; Türen gehörten zum Mobiliar und werden etwa in den Inventarlisten der Hermokopiden-Delinquenten auch entsprechend angeführt: IG I3 433, col. 1, 13. 15. 425, vgl. W.K. Pritchett, The Attic Stelai II, Hesperia 25, 1956, 178-317, bes. 233f. Wie es scheint, werden Türen und Schlösser selten gefunden und stehen dann im Zusammenhang mit Vorratsräumen oder Frauengemächern, vgl. Pritchett a.O. 236, und J.E. Jones - A.J. Graham - L.H. Sachett, An Attic Country House below the Cave of Pan at Vari, BSA 68, 1973, 355-452, hier 427f.
[4] "Schlüssel und Riemen entsprechen sich ... wie Oeffnen und Schliessen", d. h. mit dem Schlüssel wird auf-, mit dem Riemen zugesperrt: Parmenides, Lehrgedicht. Griechisch und deutsch von H. Diels. Mit einem Anhang über griechische Thüren und Schlösser (Berlin 1897) 137. Interessant ist, daß auf bildlichen Darstellungen an die hakenförmigen Schlüssel häufig der Riemen angeknotet ist, der zum Zuschließen der Tür benötigt wird, und diese auch sonst oft mit Binden oder geknoteten Bändern geschmückt sind. Vgl. Diels a.O. 126.
[5] Vgl. RE II A (1921) 557-563 s. v. Schlösser und 565-569 s. v. Schlüssel (Hug); RE XI (1921) 593-600 s. v. Kleiduchos (Kohl), und vor allem Diels a.O. 117-151, und ders., Antike Technik3 (Leipzig-Berlin 1924) 40-56, ergänzt durch R.F. Willetts, Homeric doors, LCM 2, 1977, 93-100, auch ders., Selected Papers 1 (Amsterdam 1986) 181ff. - Mit einem solchen ,echten', fünfzackigen Schlüssel vergleicht Arat das Sternbild der Kassiopeia, Phain. 193.
[6] Alle Angaben bei Liddell-Scott-Jones s. v. kleís - Ausführlicher zu den Homerstellen vgl. GGA 250, 1998, 149-157.
[7] Vgl. die Stellensammlung bei M. Schmidt, LfgrE II (1991) 1442-1444; besonders aufschlußreich immer noch E. Buchholz, Die homerischen Realien II 2 (Leipzig 1883) 133-137, knapper S. Laser, Arch. Hom. III P (1968) 74f. Die ursprüngliche Bedeutung ist also nicht ,Nagel, Pflock, Haken', wie H. Frisk, Griechisches etymologisches Wörterbuch I (Heidelberg 1960) 868 s. v. kleís, vermutet, sondern die ältere Form des Schlaufen- und Knotenverschlusses, der erst später durch Kombination mit einem feststehenden Teil (,Pflock') verbessert wurde (,Pflock', ,Zapfen', als Lager der großen Portaltürflügel, heißt bei Parmenides 1,19 gomphos und perone). Vgl. auch L. Doederlein, Homerisches Glossarium 3 (Erlangen 1858) 118f. - (s. Dokument 11 im Anhang): "He fitted the rope lashings of the oars onto the thole pins and, leaning forward against the thrust of the blades in the water, he began to row out of the harbour in the dark." E. Hemingway, The Old Man and the Sea (Penguin Books 1952) 22; "Jetzt war das Schlauchboot neben dem Fischerkahn, dessen verblaßter Lack überall aufplatzte und sich in kleinen Teilchen ablöste, und das Ruder, das mit einem Stück Schnur an die Dolle gebunden war, schlug bei jedem Schlag ächzend gegen die kantige Bootswand, …" Italo Calvino, Abenteuer eines Poeten. Italienische Erzähler des 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. R. Lottermoser (München 1994) 273 (= Italo Calvino, Abenteuer eines Lesers. Erzählungen [München 1985]; mir nur in der deutschen Übersetzung zugänglich). - Zur Kenntnis der Seemannsknoten vgl. C.W. Ashley, The Ashley Book of Knots (London, Faber&Faber 1960) (zur Verfügung gestellt von Harald Oelschlaeger, Wien).
[8] Für eingehende archäologische Beratung und Hinweise auf Literatur danke ich Edith Trnka (ÖAI, Wien).
[9] Zum ,sacral knot' vgl A.J. Evans, The Palace of Minos I (London 1921) 430ff.; M.P. Nilsson, The Minoan-Mycenaean Religion and its Survival in Greek Religion2 (Lund 1950, 1968) 162ff.; S. Marinatos, Arch. Hom. I A (1967) 28; M. Bieber, Entwicklungsgeschichte der griechischen Tracht (Berlin 1967) 22; S. Alexiou, Contribution to the Study of the Minoan "sacred knot", in: W.C. Brice (Hrsg.), Europa - Studien zur Geschichte und Epigraphik der frühen Ägäis. Festschrift für E. Grumach (Berlin 1967) 1-6; K. Polinger Foster, Aegean Fayence of the Bronze Age (New Haven-London 1979); B. Rutkowski, Frühgriechische Kultdarstellungen, AM Beih. 8 (Berlin 1981) 99f.; N. Marinatos, Minoan Religion, Ritual, Image and Symbol (Columbia, S.C. 1993) 142f.; zusammenfassend jetzt E. Trnka, Tracht und Textilproduktion in der ägäischen Bronzezeit (unpubl. Diss. Wien 1998). - ,Kultische Knoten' sind belegt auf Wand- und Vasenmalereien, Siegeldarstellungen, auf Objekten aus Elfenbein, Ton, Stein, oder als Fayencen; die Belege stammen aus Knossos, Nirou Chani, Kato Zakro, Aghia Triada auf Kreta, aus Mykene, und aus dem Orient (Uruk).
[10] Vgl. z. B. Sp. Marinatos - M. Hirmer, Kreta, Thera und das mykenische Hellas (München 1986) 123 und Taf. XVI.; H.T. Bossert, Altkreta (Berlin 1937) Abb. 226; A. Evans, The Palace of Minos IV (1935) 385 Abb. 319 Taf. XXXI (bei S. 385); F. Matz, Kreta, Mykene, Troja (Stuttgart 1956) Taf. 32; A. Michailidou, Knossos. Ein Führer durch den Palast des Minos (Athen 1987) 118 Abb. 69. Für Mykene: G. Rodenwaldt, Der Fries des Megarons in Mykenai (Halle 1921) 50 Abb. 26 und 69 Nr. 154 (weibliche Prozessionsfigur mit ,Kultknoten').
[11] Zu den Gewandübergaben vgl. Marinatos a.O. (1967) 30f.; Evans a.O. (1921) 434ff. 506; ders. a.O. (1935) 518 Abb. 461a; G.S. Korres, (griech. Titel, s. Dokument 12 im Anhang) (Athen 1981) 659-669; W.D. Niemeier, Zur Deutung des Thronraumes im Palast von Knossos, AM 101, 1986, 63-95, bes. 78ff.; C. Doumas, The Wall-Paintings of Thera (Athens 1992) 146ff.; Marinatos a.O. (1993) 143ff.; F. Blakolmer, Ikonographische Beobachtungen zu Textilkunst und Wandmalerei in der bronzezeitlichen Ägäis, ÖJh 63, 1994, Beibl. 2-27, bes. 16f.
[12] Vgl. J.G. Frazer, Der Goldene Zweig (Leipzig 1928, "abgekürzte Ausgabe") 352f. - Knorrige Stöcke mit Astknoten dienen einsamen Wanderern als Schutz vor Geistern.
[13] Z. B. A. Evans, The Palace of Minos at Knosso III (1930) 432 Abb. c-e.
[14] Zum Akzent vgl. o. Anm. 2!
[15] K. Meuli, Gesammelte Schriften II (Basel-Stuttgart 1975) 1064f. (mit weiteren Belegen).
[16] Hippokr., de art. 62,16 (4,268 Littré); Galen, Hipp. de art. 4,14, Bd. 18,1,682f. Kühn (vgl. auch 4,13) - s. Dokument 13 im Anhang!
[17] Vgl. S. Deger-Jalkotzy, E-qe-ta. Zur Rolle des Gefolgschaftswesens in der Sozialstruktur mykenischer Reiche (Wien 1978) 63f. (weiterführend); B. Eder, Die Frau in der Wirtschaft der mykenischen Paläste, in: E. Specht (Hrsg.), Frauenreichtum. Die Frau als Wirtschaftsfaktor im Altertum (Wien 1994) 61 (zur ,Verwalterin' des Heiligtums der Potnia von Pa-ki-ja-ne bei Pylos, mit weiteren Verweisen); und auch dazu Meuli a.O. 1065.
[18] Vgl. Diels a.O. (Anm. 5) 123f. (,Tempelschlüssel').
[19] Vgl. Callimachus, Hymn to Demeter. Ed. with Introduction and Commentary by N. Hopkinson (Cambridge 1984) 120 z. St. (mit Verweis auf Meuli).
[20] Dazu genauer WSt 107/108, 1994/95, 197-200.
[21] Bei Ptolemaios 5,14,3 bezeichnet als "Kuhschwanz oder Vorgebirge kleides" (s. Dokument 14 im Anhang), heute Kap Apostolos Andreas, die Halbinsel (bzw. das Gebirge) heißt Karpassos (Karpassia, 382 Meter), der Hauptort Rhizokarpasso; vgl. RE XI A (1921) 593 s. v. Kleides, und RE XII A (1924) 97-98 s. v. Kypros (Oberhummer). Türkische Karten stehen mir nicht zur Verfügung. - Die Assoziation zu den Florida Keys (Key Biscayne, Key Largo, Key West, usw.) liegt nahe, ist aber nicht begründet: ,key' geht zurück auf span. cayo ,flache Felseninsel in der Karibik'.
[22] Od. 4,355. Vgl. RE XXIII A (1957) 944-947 s. v. Proteus (Herter). - Dazu Meulis abschließende Bemerkung (a.O. 1065): "Im übrigen kommen die Wörter kleidouchos und kleidophoros noch mehrfach vor; aber in aller Regel wird man natürlich die Silbe kleid- auf den Schlüssel beziehen und nicht auf das Fesselkleid." Dies gilt sicher für Hymn. Orph. 58,4 (Eros) und 73,6 (Daimon); zu Eros vgl. auch Eur., Hipp. 540. Bei Nonnos, Dion. 9,86 ist Leukothea bezeichnet als ,Herrin der Meeresstille' (s. Dokument 15 im Anhang), vergleichbar mit Pluton in den Hymn. Orph., wo es heißt: "Pluton, der die Schlüssel bewahrt der ganzen Erde" (18,4 - s. Dokument 15 im Anhang), vielleicht ein Reflex einer homerischen Formulierung (Il. 22,482, s. Dokument 15 im Anhang). s. auch o. Anm. 5 und Anm. 17, weiter s. Dokument 16 im Anhang!
[23] nuchios hat Euripides mehrmals, muchios nicht, nur muchos als Subst.
[24] Euripidis Fabulae I. Ed. J. Diggle4 (Oxford 1984, 1994); vgl. Euripides, Medea. Ed. D.L. Page (Oxford 1952) z. St. - Die Änderung wird J. Milton zugeschrieben, zitiert in Museum Criticum Cantabrigense 1, 1814, 285; Elmsley (Euripidis Medea in usum studiosae juventutis rec. et ill. P. Elmsley [Lipsiae 1822]; das Vorwort ist datiert: "Dabam Oxonii, ipsis Kal. Sext. A. D. MDCCCXVIII") notiert zu Vers 208 (seiner Zählung): "Frustra Heathius aperantou." (s. Dokument 17 im Anhang), gemeint ist die Ausgabe von B. Heath (1762); genaue bibliographische Angaben bei: Euripides, Medea. Ed. H. van Looy (Stuttgart 1992). - Mit F.H.M. Blaydes, Adversaria Critica in Euripidem (Halle/Saale 1901) 17f. (vgl. 527) z. St., wird unter Hinweis auf Aischylos, Prom. 1078 auch aperaton erwogen (s. Dokument 17 im Anhang); s. unten Anm. 26.
[25] So eingeordnet bei Liddell-Scott-Jones s. v. II, dort fälschlich 1087 für 1078 (Korrektur in Liddell-Scott-Jones, Suppl.); ders. Fehler bei Page a.O. 87 (die andere von Page erwogene Erklärung, auf die sich ,likelier' bezieht, ist nicht relevant).
[26] Von einigen Übersetzern hier mit ,endlos' wiedergegeben: O. Werner3 (München 1980), D. Bremer (Frankfurt am Main 1988) "grenzenlos", G. und M. Morani (Turin 1987) "nel Tartaro sconfinato". - E. Fraenkel, Agamemnon 32 (Oxford 1962) 649f., führt die Bedeutung des Wortes (zu Ag. 1382) auf Od. 8,340 zurück, auf das Netz des Hephaistos für Ares und Aphrodite, mit der Bedeutung "where there is no end, i. e. no exit or outlet". Wilamowitz' aperatos für Prometheus 1078 weist Fraenkel zurück (a.O. 649 Anm. 4), und am Ende der Belegstellenreihe führt er auch Medea 212 an (Fraenkel a.O. 650).
[27] Werner a.O. (liest 1078 mit Murray aperanton), Bremer a.O. und Morani a.O. übersetzen an dieser Stelle mit ,unentrinnbar' o.ä.
[28] Euripides, Tragödien. Übersetzt von H. v. Arnim (Zürich-München 1990, 1931). Im Kommentar zur Stelle sagt von Arnim "unpassierbar" (Berlin 1886).
[29] Griechische Tragödien III. Übersetzt von U. v. Wilamowitz-Moellendorff5 (Berlin 1919). Vgl. auch Euripides, Medea. Ed. by A. Elliott (Oxford 1969) z. St.
[30] Euripides, Tragödien. Erster Teil: Medeia. Griech. und deutsch v. D. Ebener2 (Darmstadt 1990).
[31] Der Scholiast zu Medea 211f. sagt: s. Dokument 18 im Anhang. - Page a.O. 86 vermerkt: "kleis pontou probably = the key of the Euxine, i.e. the Bosporus." Die einzige vergleichbare Formulierung findet sich einmal bei Pausanias, wenn drei Städte als "Schlüssel von Hellas" bezeichnet sind (7,7,6).
[32] Vgl. A. Walde - J.B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch I5 (Heidelberg 1982) 229f. s. v. claudo, und Frisk a.O. (Anm. 7) 868. - Bei Pollux, Onom. 7,53 ist so erklärt: s. Dokument 19 im Anhang.

© Herbert Bannert, Wien
e-mail:
herbert.bannert@univie.ac.at

This article will be quoted by H. Bannert, Schlüssel, Schloß und Knoten. Zur Bedeutung von kleis, att. kleís, in: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).



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