KINDERWEIHE AN DEN ANTHESTERIEN?
Dissertation Arbeitstitel: Die Choenkännchen





Abb. 1: Chous
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die sogenannten Choenkannen und -kännchen, von welchen nahezu 2000 Stück in den Museen der ganzen Welt verstreut erhalten geblieben sind.

Es handelt sich dabei um Oinochoen der Form III, den sogenannten chous, den ein bauchiger Körper und eine Kleeblattmündung eigen ist (Abb. 1). Diese Kannenform erscheint zum ersten Mal in schwarzfiguriger Technik gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., wird im Laufe des 5. Jahrhunderts v. Chr. zur beliebtesten Kannenform und Miniaturausgaben dieser Form häufen sich in den Jahren um 430 - 400 v. Chr.

Diese Kannen und Kännchen, deren Fundort zum größten Teil unbekannt ist und deren Höhe sehr stark variiert, wurden bislang in der modernen Forschung - ausgehend von dem ersten Werk "Choes and Anthesteria" von G. van Hoorn (1951) - mit dem Anthesterienfest, insbesondere mit dem zweiten Tag dieser Feier, in Verbindung gebracht.

Die Anthesterien wurden zu Ehren des Dionysos vom 11. bis zum 13. Anthesterion in Athen gefeiert, wobei jeder Tag einen eigenen Namen hatte. Am ersten Tag, den Pithoigia, wurden die Weinfässer zum ersten Mal geöffnet und der neue Wein verkostet. Am zweiten Tag, den Choen, fanden verschiedene Riten statt, unter anderem ein Wagenumzug, der von Spottgesängen begleitet war und eine Heilige Hochzeit der Basilinna mit Dionysos. Im Zentrum des Tages stand ein Festmahl mit einem Wetttrinken, zu dem der Priester angesehene Bürger der Stadt einlud. Es wurde jedem Teilnehmer ein chous vorgesetzt, ein Maß, das 3,28 Liter entspricht. Der Sieger erhielt einen Kranz oder einen Weinschlauch. Die Teilnehmer sollen nach dem Symposion ihre Kränze um die Kannen gelegt haben und ins Heiligtum des Dionysos en Limnais gezogen sein, um sie der Priesterin zu übergeben. Dieses Heiligtum, dessen Standort bis heute noch ungeklärt ist, war nur einen Tag im Jahr geöffnet, und zwar am Choentag. Dort wurden von der Frau des Basileus und 14 älteren Frauen, den Gerairen, heilige Opfer vollbracht, von denen uns nur der Eid dieser Priesterinnen bekannt ist. Bemerkenswert ist, daß die antiken Quellen zumeist von diesem Wettkampf erzählen.

Am dritten Tag, den Chytren, wurden in speziellen Töpfen gewisse Getreide für die Toten gekocht. Diese Speise galt Hermes und den Opfern der Sintflut. Geopfert wurde diese Speise im Erdspalt in der Nähe des Pythions, an der Stelle, an der das Wasser der Deukalionsflut sich zurückgezogen haben soll.

Das Anthesterienfest war ein Weinfest, geprägt durch eine ausgelassene Stimmung der Teilnehmer. Und teilnehmen konnte jeder, denn auch die Sklaven lud man dazu ein. Es sollen an diesem Tag auch die Seelen der Verstorbenen herumgezogen sein. Daher beschmierte man die Türen mit Pech, um sie fernzuhalten.

Die Kannen der Form III wurden nun mit diesem Wetttrinken verbunden, wobei hier festzuhalten ist, daß nur eine Kanne mit einer Höhe von ca. 23cm das Maß eines chous aufnehmen kann. Allerdings finden sich nur sehr wenige Kannen, die diese Höhe aufweisen. Auch geht aus den literarischen Quellen nicht eindeutig hervor, ob das Wort chous in diesem Zusammenhang das Maß oder eine Kanne meint.

Aufgrund der Nachricht, daß im Monat Anthesterion dreijährige Kinder bekränzt wurden, rekonstruierten moderne Historiker eine Kinderweihe, die am Choentag abgehalten wurde. Auf der Mehrzahl der kleinen Kännchen dieser Form (ca. bis zu einer Höhe von 15cm) sind Kinder beim Spielen dargestellt. Diese Kinder sind unterschiedlichsten Alters, meist aber jünger als drei Jahre. Sie sind oft bekränzt, tragen eine Amulettschnur um den Oberkörper und Bänder an Hand- und Fußgelenk. In vielen Fällen ist ein Kännchen derselben Form im Bild zu sehen, wobei diese Kännchen unter den anderen Spielsachen, wie Ball, Wägelchen, Rassel, Kuchen und Haustieren eingereiht werden (Abb. 2). Diese Kinder sollen nun an diesem Tag als Zeichen ihrer Weihe zum ersten Mal Wein getrunken haben.


Abb. 2: G. van Hoorn (1951) Nr. 494

Im Rahmen der Dissertation gehe ich nun der Frage nach, ob diese Kannen und Kännchen mit dem Anthesterienfest in Verbindung gebracht werden können. Ausgangspunkt ist die Zusammenstellung der gesamten antiken Quellen, eine Zusammenstellung der Gefäße mit gesichertem Fundort und eine Untersuchung der Darstellungen.

1. Da im Zentrum der literarischen Quellen das Wetttrinken steht, behandle ich im ersten Kapitel das Maß, nämlich den chous. Welche Kannen kommen dafür überhaupt in Frage? Daraus ergibt sich eine Einteilung der Gefäße in Kannen, die dieses Maß fassen können (Choenkannen) und deren Miniaturformen. Einbezogen werden auch die schwarzgefirnißten Maßgefäße dieser Form von der Agora in Athen. Welche Gefäße wurden bei diesem Trinken verwendet? Oder stand das Maß im Mittelpunkt und die Gefäßform war sekundär?

2. Welche Rolle spielten die Kinder an diesem Fest? Wozu dienten die vielen Kännchen mit Kinderdarstellungen, die in dem begrenzten Zeitraum um die Jahre 430 - 400 v. Chr. in so großer Zahl auftreten?

Zuletzt behandelte dieses Thema R. Hamilton in seinem Buch "Choes and Anthesteria" (1991). Er kommt vor allem aufgrund ikonographischer Untersuchungen zu dem Schluß, daß die "großen" Kannen, nicht auf das Anthesterienfest zu beziehen sind, sondern nur die Kännchen bis zu einer Höhe von 15 cm, bei welchen es sich um eine ikonographisch klar begrenzte Gruppe handelt, die eine kultische Funktion hatte. Bei den Darstellungen der Kännchen handelt es sich sozusagen um eine Reminiszenz an das Choenfest. Wobei hier, bei gleichzeitigem Ausschluß der großen Kannen, der Widerspruch in seiner Argumentation deutlich wird.



Abb. 3: Frankfurt/Main, Museum für Vor- u. Frühgeschichte ß146 u. KH 576
Ansätze zu einer Deutung der Kinderdarstellungen und die Verwendung der Kännchen ergeben sich für mich in der Suche nach einer Kinderweihe (Bekränzung, Amulette, Hand- und Fußbänder). Die Verbindung der Kännchen mit den Mysterien von Agrai, die bereits von H. Möbius im Jahre 1935 geäußert wurde, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch das besondere Interesse, das bei den Künstlern dieser Zeit an der Darstellung von Kindern aufkommt (Kinderstatuetten als Weihgaben in Heiligtümern und Grabreliefs), muß in Betracht gezogen werden (Abb. 3).

Die Jahre um 430 v. Chr. waren eine unruhige Zeit für die Athener. Das Land war gezeichnet vom Peleponnesischen Krieg und die Pest machte den Menschen zu schaffen. Da ist es nicht ungewöhnlich, daß man dem Leben und Überleben der Kinder besonderes Augenmerk schenkte.

© E. Eberwein

Mag. Elisabeth Eberwein
Geb. 1964 in Klagenfurt, Österreich.
Studium der klassischen Archäologie und Ethnologie an der Universität Wien, Abschluß mit dem Magisterium 1991.



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